Nach dem Abpfiff gab es kein Halten mehr. Pyro auf und neben dem Rasen (Foto: Kristian Lossner)

Cettina: „Ich bewundere jeden, der noch so viele detailreiche Erinnerungen an das Spiel hat. Bei mir lief alles wie im Film ab und das lag nicht nur daran, dass mein Fuß zu dem Zeitpunkt unfassbar weh tat und ich durch eine Entzündung Fieber bekommen habe. Hätte ich ihn mal nicht in dem Brunnen gekühlt, aber anders konnte ich die Hitze tagsüber nicht aushalten. Meine Gruppe war schon den ganzen Tag zwiegespalten, die einen voller Euphorie und die anderen – darunter auch ich – haben nervös eine Zigarette nach der anderen geraucht und Stoßgebete Richtung Himmel geschickt. Die Hymnen und die ersten Minuten des Spiels vergingen, ohne dass ich geistig anwesend war. Gefühlt kam ich erst in der zweiten Halbzeit zu Bewusstsein und nachdem Aribo die Rangers in Führung brachte, hatte ich die Hoffnung bereits aufgegeben. Zu oft wurde man enttäuscht und ich wollte mir nicht erlauben, weiterhin an diesen Traum zu glauben. Als Borré den Ausgleich machte, bin ich zwei Reihen weiter unten zu mir gekommen, da die Jubeltraube uns alle von den Sitzen gerissen hatte. Das war’s dann auch schon mit meiner Erinnerung an 120 Minuten, selbst die sensationelle Rettungsaktion von Trapps Wunderfuß flog quasi an mir vorbei. Auch das Elfmeterschießen fühlte sich nicht real an und ich weiß gar nicht mehr genau, ob ich anfangs überhaupt hinschauen konnte. Das Einzige, woran ich mich glasklar erinnere, ist meine Panik beim Elfmeter von Daichi Kamada. Wie in Zeitlupe flog der Ball nach rechts und in meiner Vorstellung segelte er da auch am Tor vorbei, doch Pustekuchen! Obwohl das verlorene Elfmeterschießen gegen Chelsea noch im Hinterkopf schlummerte, verspürte ich erstmals so etwas wie Hoffnung. Meine klarste Erinnerung ist, wie Borré gefühlt drei Kilometer entfernt am anderen Ende des Stadions stand, bereit war, um den entscheidenden Elfmeter zu schießen und wie er den Ball ins Netz hämmerte, als würden unser aller Leben davon abhängen. Pure Ekstase. Jubel. Tränen. Erleichterung. Um mich herum lagen sich alle in den Armen und auch ich war irgendwo unter Freunden begraben. Bis heute fällt mir kein Moment ein, in dem ich so lange und so intensiv geheult habe, wie an diesem Abend in Sevilla. Auch Stunden später konnte ich einfach nicht aufhören und war so dankbar, diesen Moment miterleben zu können. Ich ignorierte meinen Fuß, der seit der Abkühlung im Brunnen um das vierfache angeschwollen war und bei jeder Berührung schmerzte. Als ich dann irgendwann wieder am Treffpunkt ankam, beschloss ich, nicht mit dem Bus zurückzufahren, sondern von Valencia aus zu fliegen. Man kann sagen, dass das meine Rettung war, da irgendwelche Bakterien in meinen Fuß gelangt sind und ich kurz vor einer Blutvergiftung stand. Aber auch das war mir egal, denn immerhin hatte meine Mannschaft einen internationalen Titel gewonnen und ich kann noch meinen Urenkeln davon erzählen.“

Grenzenloser Jubel nach dem Elfmeterschießen (Foto: Florian Bauer)

Marcel: „Als es endlich geschafft war, kannte auch auf der Pressetribüne bei den mitgereisten Frankfurter Journalisten die Freude kein Halten mehr. Jeder fiel jedem um den Arm, ein Kollege aus dem Eintracht-Medienteam hatte just um 0.00 Uhr Geburtstag. Bei aller Euphorie hieß es noch den Spielbericht zu Ende schreiben, um die Leser von SGE4EVER.de bestmöglich zu informieren. Sehr besonders waren die Momente nach der Siegerehrung, als die Mannschaft sofort den Weg in die Kurve einschlug und den Fans den Pokal präsentierte. Ein Bild, dass das Band zwischen Team und Anhängern ganz besonders deutlich machte. Nach den ersten Feierlichkeiten ging es zur Pressekonferenz, wo ein heiserer Kevin Trapp und Oliver Glasner Rede und Antwort standen, bevor die Mannschaft zur obligatorischen Bierdusche hereincrashte. Um kurz vor 2 Uhr plauderte Peter Fischer noch vor dem Stadion mit einer handvoll Fans, Goncalo Paciencia posierte mit Anhängern für ein Selfie. Jetzt nochmal in eine Bar, ein Bierchen nach getaner „Arbeit“, so hatten wir es uns ausgemalt. Doch alle Bars waren dicht. Die Stadt glich einer Geisterstadt. Zurück in der Fanzone gab es zwar noch etwas zu trinken, aber alle waren angesichts der Hitze, Dramatik und mangelnder Wasservorräte im Stadion komplett am Ende. So endet auch für uns die Nacht um 4 Uhr. Zu dritt in einem gemieteten Kleinbus, den wir in einer Tiefgarage geparkt und als günstigste Übernachtungsmöglichkeit auserkoren hatten. Das unspektakuläre Ende einer spektakulären Europa-League-Reise.“


Frenetisch wurde der Erfolg auch im heimischen Stadion gefeiert. (Foto: Folke Müller)

Folke: „Als Borré den entscheidenden Elfmeter verwandelte, schrie ich mir dermaßen die Seele aus dem Leib, dass ich am Folgetag um 07:45 Uhr vor meiner Klasse stand und keinen Laut herausbringen konnte. Ich umarmte wildfremde Menschen und mir liefen Tränen die Wangen herunter. Der Ball war im Netz, die Eintracht Europa-League-Sieger und ich klitschnass vom Bier, das in diesem Moment aus jeder Ecke kam. Das Trikot, das ich trug, riecht noch heute nach diesem Tag, hängt an meiner Wand und wurde seitdem nicht mehr gewaschen – etwas, das wohl nur Fußballfans verstehen können. Ich selbst stand sicherlich fünf Minuten lang einfach nur da, nachdem ich vor Freude geschrien hatte. Ich konnte nicht realisieren, was da gerade passiert war. Dass meine Eintracht, die ich durch Abstiegskämpfe und die zweite Liga begleitet hatte, auf einmal im Fußballolymp angekommen war. Die Gedanken überschlugen sich: Europa-Cup-Sieg, CHAMPIONS LEAGUE! Ich konnte es nicht fassen. Und sicher werde ich diesen Tag nie vergessen. (Die Schüler am nächsten Tag waren übrigens sehr lieb und voller Verständnis für ihren heiseren Lehrer, der im Eintracht-Trikot vor ihnen stand und ohne Stimme und kaum Schlaf versuchte, Deutschunterricht zu geben.)“

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10 Kommentare

  1. Das Finale ist auf immer und ewig eingebrannt! Was ein Abend! Hab tagelang nur noch gegrinst

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  2. Danke für Eure Eindrücke aus verschiedensten Sichtweisen. Beim lesen wieder Gänsehaut gehabt. Wie damals bei mir im Garten mit zahlreichen Freunden und Bekannten.

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  3. Nichts ist so alt wie der Erfolg von gestern.

    Natürlich war der Gewinn der EL ein Meilenstein für die SGE, aber das ist Geschichte.

    Wichtig wäre, dass die SGE eine neue Geschichte schreibt … .

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  4. Da hast du zwar ein wenig recht, darum geht es hier aber nicht!
    Danke für euren tollen persönlichen Erinnerungen und Eindrücke. Jeder von uns hat sein Erleben dieser Stunden und sie verbinden uns so sehr.
    Nur die SGE!

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  5. Mensch oh-esse, warum so miesepeterig am Vaddertag? Es geht doch nicht darum die Gegenwart auszublenden oder ähnliches. Nur am 18. Mai auf das tolle Ereignis des Vorjahres Revue passieren lassen und ein paar Erinnerungen dabei wecken, zumindest in der Fanszene.

    Glaube unsere Profis denken nur ans übermorgige Spiel auf Schalke, und genießen ansonsten den Vaddertag, sofern sie bereits Vädder sind.

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  6. Danke an die Mannschaft, danke an Glasner und Staff.
    Ich werde es immer im Herzen tragen. Werde die Reisen Barcelona, London, Sevilla nie nie vergessen 🙂
    In 10 Jahren zu sagen: ja, ich war dabei

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  7. Diese Spiele waren wirklich wunderbare Erlebnisse.
    Was ich aber nie vergessen werde, war der Schreck
    in den letzten Spielsekunden, als Glasgow plötzlich
    diese Riesenchance hatte.
    Ein paar Zentimeter weiter und die ganze Saison
    wäre trotz Finalteilnahme letztlich in der Tonne
    gelandet.

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  8. Toll, ich hab besonders heute nicht mit einem solch intensiv außergewöhnlich vielseitig differenzierten Bericht gerechnet.
    Nah, ehrlich, tief, rein, persönlich, unterschiedlich, spannend, bewegend.

    Fetten Dank an alle für den seltenen Einblick in verschieden fremde Momente und Motive, die jeweils viel bedeuten und berühren, aussagen und erinnern und mich nochmal deutlich und farbenfroh entführen in diese fremde Welt.

    Als sich die Möglichkeit bot, ein VIP All inklusive Ticket zzgl Flug für Sevilla zu erhalten, habe ich lange genug gezögert und rechtzeitig abgesagt.

    Besser ein brennender Fan, jemand, der alle Strapazen gerne unternimmt, dem keine Qual zu viel ist, die Mannschaft zu unterstützen, auf das Beste zu hoffen, denn sie braucht jede echte Unterstützung, wer weiß, am Ende entscheidet fast nix alles, geht nach Sevilla.
    Und ihrda seid genau das, was die Eintracht zum Sieg gehoben hat, was sie über andere und über sich selbst zum Triumph führte, was sie im inneren leitete. Kein Konstrukt, kein fremdes dreckiges Geld, kein Business Match Plan kann ewig natürliche kraftvoll überzeugte liebe schlagen.
    Ohne solch krasse Fans, ist kaum ne Vorrunde zu überstehen denkbar. Soviel Geld muß erst gedruckt werden.
    Und brutal schön, dass heute nochmal von euch so bestätigt zu bekommen. Danke. Vielen Dank.

    Zum Tag des Spiels bei mir gibs nix zu berichten.
    Kein teurer Flug, kein überfülltes Hotel, keine Bahn ohne Fahrer,
    Keine Anfahrt, keine Besonderheit, keine Organisation, kein Abwägen, keine Kosten, keine Verluste, keine Arbeit, keine Mühen, keine Enttäuschung, keine Überraschung, viel nix.

    außer evtl. Spannung, wer am end von unserer Familie am Abend dabei sein wird, am Fernseher, zhs, in Heimbachstetten.
    Es war deutlich ein konstruktiv spannender TV Abend, der sich analog dem Spiel entfaltete, Freude weitergab, neue Perspektiven unter Familien Gliedern öffnete, seltene Varianten unter Töchtern abzeichnete und wo ich öfter zur Ruhe aufgerufen wurde,
    Es gab nichtmal Verletzte, Wasser ohne Ende und keine Einlasskontrolle an Bad und Küche.

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