Marco Russ blickt enttäuscht ins Leere. Um den Abstieg zu vermeiden, bedarf es eines Kraftaktes.
Marco Russ blickt enttäuscht ins Leere. Um den Abstieg zu vermeiden, bedarf es eines Kraftaktes.

Es war ein Bild mit Symbolcharakter, als Marco Russ am Samstag nach der heftigen 0:3 Pleite bei Bayer 04 Leverkusen auf dem Ball saß und das Gesicht in die Hände vergrub. „Es ist eine richtig schwierige Situation. Wir Spieler haben genauso viel Angst wie die Fans„, gab der Vize-Kapitän nach Abpfiff in der BayArena frustriert zu. Der fünfte Abstieg der Vereinsgeschichte droht und wäre die Quittung für die fatale Vereinspolitik, die seit Sommer betrieben wurde.

Dabei schaffte der ehemalige Trainer Thomas Schaaf vergangene Saison ein Fundament, auf dem gut hätte gebaut werden können. Die Hessen wackelten zwar in der Fremde, waren aber heimstark und erzielten viele Treffer, die sich auf die Schultern von mehreren Akteuren verteilten. Dem damaligen Übungsleiter gelang es, eine Spielidee zu entwickeln, die der Mannschaft lag. Das Mittelfeld wurde schnell überbrückt und die vier Offensivspieler Haris Seferovic, Alex Meier, Stefan Aigner und Takashi Inui dadurch wirkungsvoll eingebunden. 56 Tore waren die Folge – nur der FC Bayern München, der VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen trafen häufiger.

Davon ist im April 2016 nichts zu spüren. Die Zahlen lesen sich grauenhaft: 14 Partien ohne Tor, nur 21,6% der Chancen konnten verwertet werden, sieben Treffer nach Standardsituationen (seit Sonntag schlechtester Wert der Liga) und acht verschiedene Akteure mussten bereits wegen einer Gelbsperre pausieren – die Liste ließe sich wohl noch länger fortführen. Wie konnte es so weit kommen, nachdem die Verantwortlichen im Sommer noch träumten und von der Kaderstärke so überzeugt waren?

Eine Linie bei der Trainerauswahl fehlt: Armin Veh – Schaaf – wieder Veh – jetzt Kovac. Drei Trainer – drei verschiedene Spielideen. Die Mannschaft, der ein schneller Sechser, ein ballsicherer Rechtsverteidiger und ein wendiger Linksaußen fehlte, konnte den von Veh angedachten Plan nicht dauerhaft umsetzen. Nachdem die Konkurrenz das gegen den 1. FC Köln so erfolgreich funktionierende System entschlüsselt hatte, gelangen es den Hessen nur noch selten, wirklich zu überzeugen. Zu wenig Chancen, keine Kreativität im Spiel nach vorne und hinten immer wieder mit schlimmen individuellen Patzern – Veh fand keine Lösungen und konnte der tief verunsicherten Mannschaft nicht helfen.

Darmstadt 98, der 1. FSV Mainz 05, in der Rückserie auch der VfB Stuttgart oder die Kölner: In diesen direkten Duellen gab es ab Spieltag 14 keine Zähler. Mit Laufstärke und Kampfkraft wurde der Eintracht der Schneid abgekauft. Der von den Verantwortliche im Wintertrainingslager in Abu Dhabi herbeigeredete Effekt war schnell verpufft. Jene, die sich vor der Saison in der Führungsetage gegen Veh aussprachen und einer Entlassung im Winter durchaus zugestimmt hätten, verdrängten die Warnzeichen und hielten am 55-Jährigen fest. Aufsichtsratsboss Wolfgang Steubing ist gut mit dem ehemaligen Coach befreundet, auch zu Heribert Bruchhagen oder Bruno Hübner ist das Verhältnis ebenfalls im Bereich freundschaftlich anzusiedeln.

Kovac musste deshalb in den ersten Wochen viel aufarbeiten. Das Team steht inzwischen deutlich kompakter, es läuft mehr und die im Training einstudierten Spielzüge für die Offensive waren in Leverkusen ebenfalls erkennbar. Der Kroate stellt das Team auf den jeweiligen Gegner ein und versucht, der Mannschaft einen Plan mit an die Hand zu geben. Die Werkself zeigte sich lange Zeit überrascht und musste fast 70 Minuten auf die erste Torchance, die dann typischerweise sofort im Netz der Eintracht zappelte, warten. Bleibt der 44-Jährige auch bei Abstieg? Der Kontrakt läuft bis 2017 und gilt nur für die 1. Bundesliga. Kovac hält sich noch bedeckt und möchte sich nur auf den Klassenerhalt konzentrieren. Sollte dieser tatsächlich misslingen und der Kroate nein sagen, könnte mit Alexander Schur der U-19-Trainer befördert werden – und vielleicht eine Linie – mit jungen Spielern aus der Region – reinbringen, die dem Verein auf Dauer wirklich weiterhilft?

Es ist einsam geworden um Bruno Hübner, der immer stärker in der Kritik steht.
Es ist einsam geworden um Bruno Hübner, der immer stärker in der Kritik steht.

Die Eintracht hat eine schwache Führung: Es war im Mai 2011, als Axel Hellmann sagte: „Ein Einfach-Weiter-So wird es nicht geben.“ Der Vorstand wird mit Sicherheit auch fünf Jahre später ähnlich denken. Heribert Bruchhagen musste damals das Sagen im sportlichen Bereich an Bruno Hübner abgeben. Der Sportdirektor startete emsig und stellte zusammen mit Veh einen Kader auf, der frühzeitig die Rückkehr in die 1. Bundesliga ermöglichte. Das darauffolgende goldene Jahr geht auch auf Hübner zurück, der einige Toptransfers einfädelte und Veh einen Kader zusammenstellte, der ganz nach dessen Wünschen Fußball spielen konnte.

In den darauffolgenden Jahren wurde die „Flop-Liste“ allerdings lang und länger. Das Scouting gilt, trotz erster kleinerer Erfolge (Hradecky, Castaignos, lange Zeit auch Seferovic), noch immer als zu uninspiriert. Der Vorwurf: Während die Konkurrenz aus der näheren Umgebung immer wieder günstige Spieler findet und entwickelt, kaufen die Frankfurter eher planlos ein. Marco Fabián wurde im Winter als möglicher Flügelspieler angepriesen – schon nach wenigen gespielten Minuten war jedem, der den Mexikaner beobachte, klar: Er ist ein reiner Zehner. Szabolcs Huszti wurde nach eineinhalb Jahren aus China mit 32 Jahren an den Main geholt, obwohl er seinen Zenit deutlich überschritten hat. Weshalb die sportliche Leitung Kaan Ayhan ausgeliehen hat, bleibt das wohl größte Rätsel des Winters – die Fehler des jungen Türken kosteten bereits wertvolle Zähler.

Hübner steht deshalb intern immer stärker in der Kritik. Die Vorwürfe sind vielschichtig: Falsche Transfers, schwache Außendarstellung und ein katastrophales Krisen-Management. Der Verein traut dem Sportdirektor anscheinend nicht mehr viel zu – nicht umsonst fällt sein Name nicht bei der Suche nach einem neuen Sportvorstand. Hübner, dessen Kontrakt noch bis 2019 läuft, hat seinen Bonus aus dem Jahr 2013 wohl endgültig aufgebraucht. Ob es einen Neuaufbau mit ihm geben wird, egal in welcher Liga, ist mehr als fraglich.

Auf Seite 2: Was passiert bei einem Abstieg?

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62 Kommentare

  1. mal ne frage,
    ich les seit wochen kritik über heriberts sparpolitiik, ich hab aber (wirklich) noch nicht so verstanden weshalb es was schlechtes ist, wenn man man keine schulden machen möchte. das klingt in meinen ohren eher vernünftig. warum ist das beim fussball anders?

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  2. Anders nicht umbedingt, aber mit viel Geld bekommt man gute Spieler. Die sorgen dann für gutes Abschneiden und dementsprechend höhere Einnahmen, mit denen man dann die aufgenommenen Schulden zurückzahlen kann.

    Soweit die Theorie. Die Praxis sieht dann manchmal anders aus, z.B. durch den auch stetig steigenden Mannschaftsetat. Wie es bei einem Championsleagueclub aussieht wenn die sportlichen Ziele verfehlt werden und der Kader nicht mehr zu finanzieren ist, konnte man in Bremen sehen.

    Teuer heißt nicht automatisch gut und daran, bzw. an dem was passiert wenn’s schief geht, scheiden sich hier im Forum die Geister.

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  3. Stimmt es, was am WE im Stadion zu hören war, dass die komplette Führungsriege, vom Präsidenten bis zum Aufsichtsrat inkl. Vorstand und Sportdirektor, ihre Ämter zur Verfügung stellen wollen, falls H96 noch an der Eintracht vorbei zieht? Muss man insofern nicht ernstlich in die Predouille geraten, zu wessen Gunsten man die Daumen drückt.

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  4. zizou, Gerüchte gibt es immer. Ich fände es auch nicht gut, wenn alle plötzlich weg wären. Der ein oder andere kann gern gehen, aber sie haben ja nicht alles falsch gemacht. Im Gegenteil,. vieles wurde richtig gemacht.

    @Gekkz : Ja ist nicht nichts schlechtes. Es sorgt dafür, dass wir nicht unsere besten verkaufen MÜSSEN ( das drückt dann gleich die Preise ). Es wird nur immer wieder behauptet, dass man mit mehr Risiko und mehr Geld eine bessere Mannschaft hätte. Wutzespeck hat zurecht das Beispiel Bremen genannt, dafür dass es nicht so einfach ist. Auch Hannover hat ne Menge Kohle und deutlich deutlich mehr als wir in den letzten Jahren ausgegeben. Hoffenheim auch ( die sind jetzt weiter oben, weil der Trainer besser ist, der Kader ist ja der gleiche der letzter war).

    Wir brauchen eine Strategie und ein Konzept. Das wird die Aufgabe des Heri-Nachfolgers sein.

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  5. Und nur mal so. WIr haben ( Im Gegensatz zum Beispiel zu Darmstadt und anderen ) die Lizenz für beide Ligen OHNE Auflagen erhalten. Das nenne ich seriöses Wirtschaften. Was bringt es mir „finanzielles Risiko “ zu gehen, wenn ich dafür meine Handlungsfähigkeit in den nächsten Jahren riskiere.

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  6. @joe: „Lediglich im infrastrukturellen und im medientechnischen Bereich wurden den Darmstädtern aber kleinere Auflagen (z.B. Verbesserungen in den Bereichen TV-Studio und Mixed-Zone) erteilt.“ Das sind jetzt für mich keine dramatischen Auflagen in dem Sinne, dass Darmstadt hier auch nur irgendwie am Rande des Punktabzugs steht. Das Böllenfalltor ist nunmal eine Ruine und da der Verein so schnell gewachsen ist, kam man hier halt nicht gleich zu 100% hinterher – finanzielle Auflagen sind das nicht.

    Nunja – was es bringen kann sieht man ja inzwischen z.B. in Gladbach, die 2011 noch mit uns auf (phasenweise sogar unter) Augenhöhe waren und diesmal einen Rekordgewinn von 21 Millionen Euro abgeschlossen haben. Die Mitgliedszahlen liegen bei 65.000 wie ich gestern gelesen habe, der Umsatz bei rund 150 Millionen Euro – also man sieht durchaus, dass sich finanzielles Risiko – und wir reden hier nicht von irgendwelchen Vabanquespielen – auszahlen kann.

    Die Politik „der ruhigen Hand“ ist eben dann, wenn man kurz vor einem Abstieg steht, sehr schwer zu vermitteln. Vor allem wenn man sieht, dass der 1. FC Köln, der vor 3 Jahren noch in der 2. Bundesliga war, gefühlt jetzt schon an uns vorbeigezogen ist – und jetzt mit Schmadtke und Stöger ein Duo hat, dass eng zusammenarbeitet und ein klares Konzept verfolgt.

    Ich will bei uns wirklich nicht alles schlecht reden – aber dieser Abstieg ist ähnlich wie der 2011 so unnötig und basiert auf so vielen Fehlentscheidungen in der Vorstandsetage, dass einem nur „schlecht“ werden kann. Das einzig positive ist wirklich, dass wir noch Eigenkapital haben und somit immerhin eine Zweitligasaison noch ohne größeren Schade absolvieren können.

    Aber bei einem Abstieg zählt es dann auf allen Ebenen:

    1.) Der Sportvorstand muss eine Führungsfigur sein, einer, der sich auch mal gegen Widerstände durchsetzt und einer klaren Linie folgt.
    2.) Bruno Hübner darf nur bleiben, wenn er mit dem Sportvorstand gut kann und dieser sich klar als Ansprechpartner herauskristallisiert. Hübner sollte sich in Zukunft wirklich nur noch um das kümmern, was er wirklich gut kann – verhandeln, verhandeln, verhandeln. Das Beraternetzwerk darf ihm nicht mehr das Ohr abschwatzen, stattdessen Daum und Legien noch viel stärker einbinden und das Scoutingnetzwerk noch vergrößern.
    3.) Axel Hellmann muss aufhören Luftschlösser in der Öffentlichkeit zu bauen und immer auf das „gelobte Jahr 2020“ zu verweisen. Stattdessen – Klinken putzen, sich auch mit kleinen Schritten zufrieden geben, vielleicht auch mal überlegen, ob man unbedingt wieder nach Abu Dhabi im Winter reisen muss oder es da nicht Alternativen gibt, die kurz- und dann auch langfristig gesehen mehr bringen.
    4) Mit Niko Kovac weitermachen, wenn dieser Interesse andeutet. Ich sehe ihn nicht als verbrannt an, wenn es schief gehen sollte. Er hat viel gearbeitet, viel probiert – und das sehen auch die Fans und das Umfeld. Er wäre zwar zügig unter Erfolgsdruck in der 2. Bundesliga – aber das wäre ein anderer Coach auch. Dazu – Schur endgültig als zweiten Co-Trainer installieren und endlich eine Verbindung U19 – Profis schaffen, die sich lohnt und Erfolg verspricht.

    Es sind nur 4 Sachen, die ich jetzt aufzählen möchte – da sind für mich noch deutlich mehr (wie ist der Verein im Hintergrund aufgestellt, Medienabteilung, Aufsichtsratszusammensetzung…) – aber ich denke das langt erstmal…

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  7. Bei Gladbach gab es einige günstige Faktoren. Sie haben damals den Abstieg vermieden, Spieler wie Reus teuer verkauft und dafür einige gute Einkäufe gemacht ( allerdings auch teure Flops wie De Jong). Zu ihren Stärken gehört das es eine stabile Führungsspitze gibt und mit Eberl einer der besten in seinem Bereich. Das mit dem ab und zu teuer verkaufen ( wie bei trapp ) sollte auch bei uns Teil der Strategie sein. Wobei man es da auch nicht übertreiben darf. Neueinkäufe sollten zu unserer Strategie ( die wir noch brauchen ) passen und die Trainer dazu passend gescoutet werden.

    In einem Punkt sind wir beide 1000% einer Meinung. Für uns ist jeder Abstieg unnötig, weil wir viel mehr Potential haben. Wenn wir in so einer Sitaution sind, ist viel falsch gelaufen.

    Bei 1. bin ich bei dir. Bei 2. auch, wobei wir nicht wissen wie groß oder klein BH´s Schuld ist. bei 3. auch, wobei AbuDhabi wohl ein gutes geschäft für uns ist. bei4. absolut, da Kovac gute Arbeit leistet. Auch Schur als Co und die Verbindung zur U19 sehe ich wie Du . Aber da traue ich Kovac viel zu, da er ja im Jugendbereich ( soweit ich weiß ) Erfahrung gesammelt hat.

    Wenn wir diese Punkte umgesetzt haben, können wir ja den Rest angehen. Es macht sicher Sinn, sich erstmal auf 3-4 wichtige Dinge zu fokkusieren.

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  8. Ich bin davon überzeugt, dass wir die ersehnten Punkte gegen Mainz, Darmstadt und Bremen holen. Das nutzt aber nix! Die Konkurrenz wird nicht 4 Spieltage lang die Hände in den Schoß legen. Das ist das Problem. Und genau deshalb wird es auf der Zielgeraden – trotz der guten Ansätze unter Kovacs – nicht reichen.

    @ Thomas66 Es ist schade, dass Bruchhagen gerade jetzt geht. Ich nehme stark an, dass er ein guter Geographielehrer war. Der wüsste sofort wie man auf schnellstem Wege nach Sandhausen oder Heidenheim kommt. 🙂 Sorry, das musste sein. Ich benötige den Galgenhumor, um über diese schlimme Situation hinweg zu kommen.

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  9. Da es am Ende immer wieder mal einen traf der nicht damit rechnete, bleibe ich beim Abstiegstipp VfB Stuttgart. Für uns kommt es darauf an gegen Mainz und Darmstadt am besten zwei Siege ( ein Sieg und ein Unentschieden sind das absolute Minimum ) zu holen. Wenn wir eines der beiden verlieren, bin ich vom Abstieg überzeugt. Bis dahin glaube ich an die Rettung.

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