Ein Fall für den Videobeweis? Schiedsrichter Florian Meyer und Haris Seferovic sind nicht immer einer Meinung
Ein Fall für den Videobeweis? Schiedsrichter Florian Meyer und Haris Seferovic sind nicht immer einer Meinung

Nachdem gestern SGE4EVER.de-Redakteur Christopher seine Forderung nach der Einführung eines Videobeweises ausführlich dargestellt und begründet hat, geben wir heute seinem Redaktionskollegen Ralf Gelegenheit, seine ablehnende Haltung darzulegen und zu erläutern, warum diese Reform aus seiner Sicht schädlich für den Fußball wäre.

1. Was macht den Reiz des Fußballs aus?

Selbstverständlich ärgern wir uns alle über Fehlentscheidungen – vornehmlich über solche, die zulasten der eigenen Mannschaft getroffen werden. Wenn der Schiedsrichter eine knifflige Situation zugunsten der Eintracht wertet und dabei daneben liegt, sind wir eher geneigt, großzügig darüber hinwegzugehen und Verständnis für den Unparteiischen aufzubringen. Warum wir so unterschiedlich auf Entscheidungen des Schiris reagieren, liegt auf der Hand: Fußball lebt von Emotionalität, Subjektivität und Unberechenbarkeit. Während unsere Arbeitswelt ständig neuen Rationalisierungsprozessen unterworfen ist, bietet sich am Wochenende im Stadion oder vor dem Fernseher die Gelegenheit, dem freien Spiel der Unwägbarkeiten beizuwohnen. Nicht selten hängt der Ausgang einer Partie von Kleinigkeiten oder Zufällen ab: von der Verletzung eines Leistungsträgers, einer Hinausstellung, von taktischen Fehlgriffen des Trainers oder kaum wahrnehmbaren atmosphärischen Störungen innerhalb der Mannschaft. Hinzukommen in der Tat unglückliche Auslegungen des Schiedsrichters, dessen Wirken bereits heute von unzähligen Kameras beobachtet wird. Aber seien wir doch mal ehrlich: Sind es nicht die vielen unvorhersehbaren Dinge, die dem Fußball seinen Reiz verleihen? Berauben wir den Sport durch immer mehr Technik, mehr Wissenschaft und mehr vermeintliche Sicherheit nicht der Werte, die ihn für uns so unwiderstehlich machen?

2. Es ist nur ein Spiel

Die Entscheidungen des Schiedsrichters – ob richtig oder falsch – sind nur ein Mosaikstein in dem großen Ganzen, das den Reiz des Fußballs ausmacht. Sie beeinflussen ohne Zweifel das Spiel, stehen im Mittelpunkt der Diskussionen und können sich auch mitunter als falsch herausstellen. Aber haben diese Fehlentscheidungen – von denen es trotz medialer Aufmerksamkeit gar nicht so viele gibt – nicht auch eine psychohygienische Funktion? Erlauben sie nicht den Frust über die Leistung der eigenen Mannschaft auf einen Dritten zu verschieben? Eignen sie sich nicht bestens für Verschwörungstheorien („Fußball-Mafia DFB“)? Sind sie nicht der Stoff für zum Teil lebenslange Mutmaßungen, wie das Spiel ausgegangen wäre, wenn … („Rostock-Trauma“).

Wir neigen dazu, in allen Lebensbereichen größtmögliche Sicherheit haben zu wollen und nutzen im privaten und öffentlichen Leben alle nur denkbaren Hilfsmittel, um diese Sicherheit zu gewährleisten und Risiken zu minimieren, indem wir z.B. unsinnige Versicherungen abschließen oder nukleare Schutzschilder errichten. Lasst uns wenigstens den Unsicherheitsfaktor in denjenigen Bereichen bewahren, die Raum für Individualität, Spontaneität und Unvorhersehbarkeit bieten. Und vielleicht wäre es der ganzen Fußballkultur in diesem Land förderlich, wenn man Fußball nicht ganz so ernst nehmen würde und ihn als das ansehen würde, was er ist: ein Spiel.

Werden zukünftig auch ungerechtfertigte gelbe Karten vom Videobeweis annuliert?
Werden zukünftig auch ungerechtfertigte gelbe Karten vom Videobeweis annuliert?

3. Wo verlaufen die Grenzen?

Interessant sind die Aussagen, welche Entscheidungen einem Videobeweis unterliegen sollten. Sind es nur die „ganz engen Situationen“ im Strafraum und die Notbremsen? Warum wenden wir das Instrument dann aber nicht auch auf den unberechtigten Einwurf oder Freistoß an, der zu einem Tor führte? Und wie sieht es aus mit Schwalben? Und mit nicht gegebenen gelben Karten? Mit Zeitspiel des Gegners? Warum nicht eine lückenlose Kontrolle des Spiels?

Ganz klar: Weil damit das Spiel zerstört würde. Aber wem wäre geholfen, wenn sich die Diskussion über Fehlentscheidungen auf Diskussionen darüber verlagern würde, warum der Videobeweis nicht angewandt wurde? Und was machen wir, wenn die Tatsachenfeststellung zu viel Zeit in Anspruch nimmt? Oder wenn sich der fünfte Unparteiische vor dem Bildschirm täuscht? Meine These lautet: Die durch den Videobeweis angestrebte Sicherheit ist nur eine scheinbare. Sie schafft neue Probleme, die wir zuvor nicht hatten.

Auf eine weitere Abgrenzungsproblematik soll hingewiesen werden: Es ist davon auszugehen, dass der Videobeweis nur für den bezahlten Fußball vorgesehen ist. Damit würde der ganze Jugend- und Amateurbereich von dem Profisport noch stärker als bisher abgekoppelt – mit unabsehbaren Folgen. Während die Bundesliga dazu tendiert, eine technisch unterstützte, möglichst fehlerfreie Spielleitung zu garantieren, sehen sich die bedauernswerten ehrenamtlichen Unparteiischen in den niedrigeren Klassen neuen Formen der Konfrontation auseinandergesetzt.

4. Fazit

Auch wenn mir der Vorwurf des „Fußball-Romantikers“ nicht erspart bleibt, bestehe ich auf der Forderung: Verändert den Fußball nicht zu sehr! Während das „Hawk-Eye“, die Torkamera, nur eine begrenzte Funktion hat, dem Spiel zumindest nicht schadet und wenigstens dem Hersteller nützt, würde die Einführung des Videobeweises eine Revolution im Fußball mit unabsehbaren Folgen bedeuten. Wir sollten uns lieber darauf besinnen, warum wir Fußball so mögen und warum wir eine solche Leidenschaft für die Sportart entwickelt haben. Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Sagt das tagelange Lamentieren über eine Fehlentscheidung nicht mehr über unsere Einstellung zum Sport als über die Qualifikation des Unparteiischen aus? Ich plädiere deshalb dafür, dem Fußball bei allen Milliardenbeträgen, die im Spiel sind, seine Unschuld nicht in Gänze zu nehmen.

Autor Ralf

- Werbung -

4 Kommentare

  1. OT:“… .Wir sollten uns lieber darauf besinnen, warum wir Fußball so mögen und warum wir eine solche Leidenschaft für die Sportart entwickelt haben. Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Sagt das tagelange Lamentieren über eine Fehlentscheidung nicht mehr über unsere Einstellung zum Sport als über die Qualifikation des Unparteiischen aus?“. –

    Ich mag Fußball weil es Leidenschaft ist, aber nicht aufgrund fehlentscheidungen, sondern wegen der sportart selbst( spielzüge, konter,tore,steilpaß ect.).wenn ich mich tagelang über ein nicht gegebenes Abseitstor und die daraus folgenden Niederlage ärgere/lamentiere dann bestimmt nicht weil es dazugehört, oder es mir Spaß macht. Fehlentscheidungen gehören nicht zum Fußball. Dahin zu kommend, stell dir vor, es gibt vereine die bestechen die Schiedsrichter, nur mal für Spaß, …aber durch die Kamera wäre das dann nicht mehr möglich :D. Ich denke dieses Argument sollte als erstes genannt werden, als Schutz gegen spiel Manipulation. Und deswegen mag ich diesen Sport, weil er fair und sauber ist!…sein sollte !

    0
    0
  2. Mir reicht’s an Aufregung, wenn Iggy den Ball übers leere Tor semmelt, da brauch ich nicht noch einen fälschlicherweise nicht gegebenen Elfer.

    Keine Sportart wird interessanter, weil der Schiri Fehlentscheidungen trifft. Er soll lediglich neutral das Kräftemessen zweier Mannschaften überwachen, nichtbentscheiden.

    0
    0
  3. Was ist schon Fußball, wenn Terror wider den Geist der Aufklärung das offene Europa, wie wir es kennen, kaputt machen will. Einfach in Frieden zusammenleben, warum ist das weltweit nur so schwer?

    0
    0

Keine Kommentare mehr möglich.

- Werbung -