Gelson Fernandes spielte drei Jahre für die SGE.

Wandervogel, unerschütterlicher Kämpfer, Publikumslibeling: Gelson Fernandes hat einiges erlebt in seiner Karriere, die mit dem 34. Spieltag und dem 3:2-Heimsieg der SGE gegen den SC Paderborn ein Ende nahm. Im „Kicker“ blickte der 33-Jährige jetzt auf seine Karriere zurück, gab einen kurzen Ausblick auf sein Leben danach und äußerte sich zur Schnelllebigkeit des Fußballgeschäfts und zum Thema Rassismus.

Die Karriere von Fernandes, der bei insgesamt zehn Klubs spielte, begann beim FC Sion in der Schweiz. Bevor er hier sein Profidebüt gab, sei es für ihn aber schon immer klar gewesen, dass er Profi werden wolle – wenn ursprünglich auch eine andere Position angedacht gewesen sei: „Bereits in der Schule spielte ich in den Pausen mit den älteren Kindern und war richtig sauer, wenn ich verloren habe. Übrigens: Ich war ein eher offensiver und kreativer Spieler. Das hat sich jedoch geändert. (lacht)“ Den Sprung in die erste Mannschaft schaffte er dann innerhalb einer Woche, wie er verriet: „In Sion brauchte der Trainer der Profis mal ein paar Spieler fürs Training. Da die U 21 bei einem Turnier war, empfahl der U-21-Trainer zwei Spieler aus der U 18, einer davon war ich. An einem Mittwoch durfte ich das erste Mal bei den Profis trainieren, am Samstag habe ich gespielt. Das kam einfach so.“

Glücklicher Wandervogel

Zurückblickend sei er äußerst zufrieden mit seiner Karriere und seinem Lebensweg vom Einwandererkind zum Schweizer Nationalspieler: „Glückliche Karriere. Ich war nicht oft verletzt und habe von der ersten Minute an bis zum letzten Training alles gegeben. Wirklich alles. Mehr ging vom Talent und Potenzial her nicht.“ Dabei spielte der Rechtsfuß bei zehn Klubs und in sechs Ligen, was er im Nachhinein als absolut positiv empfindet: „Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte jeden Sommer drei, vier Angebote. Eigentlich unglaublich.“ Er habe viele „Kulturen und Sprachen“ gelernt. „Vielleicht habe ich auch deshalb jetzt nicht den Wunsch, ein letztes Abenteuer zu machen, weil ich so viel erlebte“, erklärt der Familienvater.

Pokalsieg als Highlight der „schönsten Zeit“

Die schönste Zeit seiner Karriere sei bei der Frankfurter Eintracht gewesen, verriet er. „Ich weiß nicht, ob das etwas mit dem Alter oder der Erfahrung zu tun hat, aber hier hatte ich unheimlich viel Spaß. Bevor ich hierher wechselte, sagten einige: „Du bist verrückt, die laufen zu viel. Geh lieber nach Spanien! Du bist schon zu alt dafür.“ Ich führte trotzdem ein Gespräch mit Niko Kovac. Wir trafen uns zu einem Frühstück, bei dem er mir erklärte, dass er Maschinen wie mich braucht. Und dann habe ich das gemacht“, so der defensive Mittelfeldmann. Ein absolutes Highlight hierbei war natürlich der Pokalsieg mit der SGE im Mai 2018. Das Finale selbst verpasste er aber – wegen einer roten Karte, die er im Halbfinale beim FC Schalke nur Sekunden nach seiner Einwechslung sah. Mittlerweile kann er darüber aber lachen: „Ein perfekter Ablauf! Das gab der Mannschaft die nötige Wut für die letzten Minuten. (lacht)“ Er sei damals einfach froh gewesen, dass die Eintracht trotz dieses Platzverweises das Finale erreicht habe: „Ich hatte Glück, dass wir ins Finale kamen. Sonst hätte ich meine Sachen packen können. Das war relativ klar. Insofern war es doch perfekt. So ist das Leben.“

Während der Pokalsieg eines der Highlights im Klubfußball darstellte, spielte er auch selbst 67 Mal für die Schweizer Nationalmannschaft und dabei auch zwei Weltmeisterschaften. Bei einem dieser Turniere erlebte er auch den – nach eigenen Aussagen – schönsten Moment seiner Karriere: „Alle denken, das sei mein Tor gegen Spanien bei der WM 2010. Das stimmt aber nicht, der schönste Augenblick war vier Jahre später bei der WM 2014. Wir spielten vor fast 70 000 Fans in Sao Paulo gegen Argentinien und Messi. In der ersten Hälfte der Verlängerung waren wir klar besser, als Schweiz spielten wir damals einen tollen Fußball. Dieses Spiel war der Moment, wo ich gesagt habe: Wow, das ist Fußball. Weltmeisterschaft, Achtelfinale, tolles Wetter, Sao Paulo, Brasilien. Es ist schön, einen nationalen Pokal zu gewinnen, aber da schaut die ganze Welt zu.“ In das positive Erscheinungsbild des Mittelfeld-Kämpfers passt auch, dass er selbst keinen traurigsten Moment herauspickt: „Den gab es nicht. Das Wichtigste ist die Gesundheit der Familie. Ich bin bis jetzt glücklich, aber ich weiß, dass ich im Leben irgendwann jemanden verlieren werde. Das ist das Einzige, was mich traurig machen kann. Solange ich gesund bin, habe ich die Kraft, um Sachen zu erkämpfen. Vor dem, was im Leben kommt, habe ich keine Angst.“ Daher stehe jetzt die Familie im Fokus: „Ich höre auch deshalb auf, weil ich die Zeit mit meiner Familie nutzen möchte. Ich könnte noch irgendwo zwei, drei Jahre spielen, aber die Jahre, die ich verliere, bekomme ich nicht zurück. Ich bin jetzt 14 Jahre lang weg von zu Hause und habe viel verpasst. Deswegen gehe ich nicht nach Amerika oder Australien. Mein Vater kam einst ohne Papiere in die Schweiz, da war ich noch nicht geboren, und meine Mutter lebte auf Kap Verde. Ich war fünf Jahre alt, als er mich das erste Mal sah.“

Das Leben nach dem Fußball

Durch die lange Corona-Pause hatte der Schweizer jetzt mehr Zeit sich auf das Karriereende vorzubereiten als geplant. In dieser Zeit habe er Abstand vom Fußball gewinnen können und freue sich nun auf die Zeit danach: „Ganz ehrlich: Ich freue mich auf die Zukunft. 17 Jahre gab ich mit viel Leidenschaft alles für den Fußball, irgendwann merkt man, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Im Dezember 2019 war klar, dass das meine letzten Monate werden.“ Seine Planung sehe vor, dass er dem Fußball zwar als Experte treu bleibe, auf ein Engagement als Trainer laufe es allerdings nicht hinaus, so der Mittelfeldspieler. Sein Ziel sei es nun schnell in das Alltagsleben zu kommen: „Ich werde als Experte für die Spiele in der Champions League und die Europa League auftreten. Aber irgendwann werde ich für einen Klub oder Verband arbeiten. Oder ich baue eine eigene Firma auf.“ Hier schwebe ihm aber trotzdem das Fußballgeschäft als Tätigkeitsfeld vor: „Ein Unternehmen, das Klubs, Verbände oder Trainer berät. Ich kann meine Erfahrung weitergeben. Aber zunächst werde ich bei der UEFA in Nyon meinen „Master for International Players“ machen, das ist ein Abschluss in Sportmanagement, den auch Simon Rolfes gemacht hat.“

Kritik an jungen Spielern

Während seiner 17 Jahre als Profi hat sich natürlich auch der Fußball und das Drumherum extrem geändert. Für ihn selbst sei dies zu viel gewesen und er sehe langfristige Folgen auf die Klubs zukommen: „Junge Spieler posten und liken Sachen bei Instagram, denken, sie wären was weiß ich was. Dabei haben sie noch gar nichts erreicht, das ist unglaublich. Meine Angst ist, dass wir keine Top-Spieler mehr bekommen. Keinen Schweinsteiger, keinen Ballack, keinen Kahn. Wir verlieren momentan viele Spieler durch das System, sie werden Durchschnitt.“ Den jungen Spielern fehle der Biss: „Ein normaler Bundesligaspieler hat heutzutage schon ein sehr gutes Leben: viel Geld, ein Haus mit Pool, ein gutes Auto. Warum sollte er mehr machen? Diesen Hunger, besser zu werden, sich Träume zu erfüllen, Nationalspieler zu werden, um bei Welt- und Europameisterschaften zu spielen und die Champions League zu gewinnen, sehe ich nicht bei vielen Spielern.“

Mit der Kritik an den hohen Ablösesummen und Spielergehälter, die es immer wieder gibt, sei er allerdings nicht einverstanden: „Denn der Fußball sorgt für Einnahmen. Was machst du damit? Du schaffst Arbeitsplätze in den Vereinen, wir zahlen auch unglaublich viele Steuern, was gut für alle ist. Und die Leute haben Spaß in einem vollen Stadion, wenn wir Gas geben. Dieser Spaß und die Emotionen sind wichtiger als Geld. Schauen Sie sich an, was der Fußball den Menschen in Liverpool bringt, die erstmals nach 30 Jahren wieder eine Meisterschaft feiern können.“

„Am Ende sind wir alle gleich!“

Ein weiteres Thema, das derzeit in aller Munde ist, ist der Rassismus. Fernandes hatte sich bereits in der Vergangenheit deutlich gegen Rassismus positioniert und wolle dies auch weiterhin tun, da er ihn auch erfahren habe: „Es gab nicht viele Schwarze im Wallis. Ich gewöhnte mich früh daran, dass ich anders bin. Wir waren zwei Schwarze in der ganzen Schule. Aber die Kinder waren gut zu mir. Im Profifußball erlebte ich Rassismus nur in Verona, wo die Lega Nord stark ist, das ist schlimm dort. Rassismus ist ein Thema, das immer präsent war, heute verbreiten sich die Informationen über die sozialen Netzwerke aber schneller. Wir müssen gegen Rassismus kämpfen, am Ende sind wir alle gleich.“



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2 Kommentare

  1. Wir hatten auch viel Spaß mit Dir, auch wenn ich dadurch ein paar graue Haare mehr bekam. Wahrscheinlich hat uns Dein Einsatz, Rot nach 33 Sekunden Pokal-Aus für Gelson Fernandes, den Pokalsieg gebracht, sonst hättest Du womöglich im Endspiel gespielt 🙂 🙂 Nein, Gelson bist ein super Typ, wäre toll dich als Eintracht-Markenbotschafter zu sehen.

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