Erfahrung ist auch im Abstiegskampf kein Muss mehr! Die Trainer werden immer jünger.
Erfahrung ist auch im Abstiegskampf kein Muss mehr! Die Trainer werden immer jünger.

Abkippender Sechser? Polyvalenter Spieler? Zwischen den Linien? Überladen? Der gläserne Spieler? Armin Veh platzte bereits im Sommer vor dem Saisonbeginn der Kragen: „Bin ich ein Exot?“ Er komme sich inzwischen so vor, wenn sich die Gespräche um die neue Generation der sogenannten „Konzepttrainer“ drehen. „Bei mir heißt es nicht: Gegen den Ball spielen. Das heißt: In der Defensive!“ Der ehemalige Trainer der Eintracht erkannte wohl, dass sich der Wind im Business Fußball zu drehen schien. Veh, damals noch 54 Jahre alt, war zu diesem Zeitpunkt der älteste Übungsleiter der Bundesliga.

Am Ende der Spielzeit ersetzten sowohl die Frankfurter, als auch Hannover 96 (Michael Frontzeck, 52/Thomas Schaaf, 55), Borussia Mönchengladbach (Lucien Favre, 58) und die TSG Hoffenheim (Huub Stevens, 62) ihre erfahrenen Trainer durch deutlich jüngere Coaches. Mit Julian Nagelsmann, der die Kraichgauer letztendlich noch souverän zum Klassenerhalt führte, ist inzwischen der mit 28 Jahren jüngste Trainer aller Zeiten in der Bundesliga aktiv. Im Durchschnitt sind die 18 federführenden Männer 44,6 Jahre alt.

Nagelsmann, Roger Schmidt (Bayer Leverkusen), Martin Schmidt (1. FSV Mainz 05), Peter Stöger (1. FC Köln), Markus Weinzierl (bis zum Sommer beim FC Augsburg), Ralph Hasenhüttl (bis zum Sommer beim 1. FC Ingolstadt), Dirk Schuster (SV Darmstadt 98), Pep Guardiola (FC Bayern München), Eintracht-Coach Niko Kovac, Viktor Skripnik (SV Werder Bremen), André Schubert (Gladbach), Jürgen Kramny (beide VfB Stuttgart), Peter Stöger (1. FC Köln) und Pal Dardai (Hertha BSC Berlin) – mit Ausnahme von Bruno Labbadia (Hamburger SV), André Breitenreiter (ehemals FC Schalke 04), Thomas Tuchel (Borussia Dortmund) und Dieter Hecking (VfL Wolfsburg) haben die Trainer ansonsten bei noch keinem anderen Bundesligaklub als Chef gearbeitet.

Der Mut ist gestiegen, sich Übungsleiter aus dem eigenen Stall zu holen oder gar Quereinsteiger, die mit Profifußball zuvor nicht viel zu tun hatten. Der kleine, elitäre Zirkel, bei dem ein geschasster Trainer zügig einen neuen Job bekam, ist zu einem rasanten, mit vielen neuen und frischen Gesichtern ausgestatteten Karussell geworden. Peter Neururer? Womöglich Jürgen Röber, Thomas Doll, Christoph Daum und jetzt wahrscheinlich auch Stevens – die Zeit der Feuerwehrmänner, die für die schnelle Rettung geholt wurden und sich danach häufig schon wieder auf einen neuen Einsatz bei einem anderen Klub vorbereiten mussten, scheint auszusterben. Auch die Hessen ließen einem „Newcomer“ eine Chance und holten mit Kovac einen Mann, der zuvor zwar kroatischer Nationaltrainer war, die Bundesliga zuvor aber nur aus seiner Profikarriere kannte.

Hans Meyer, Präsidiumsmitglied bei Gladbach, widerspricht dieser These bei dem neuen Talk des Kicker dennoch und nimmt dafür auch die Medien mit in die Pflicht: „Wir urteilen viel zu schnell über Trainer.“ Freilich sei es eine tolle Geschichte, wenn ein junger Mann wie Nagelsmann die Hoffenheimer übernimmt und die Klasse hält. Allerdings: „Wären die abgestiegen, wäre es ein schwerer Schlag für die Karriere gewesen.“ Der früher so erfolgreiche und beliebte Trainer legte mit einem anderen Beispiel nach: „Ich denke daran, dass die Stuttgarter dem Huub Stevens letztes Jahr am liebsten ein Denkmal gesetzt hätten. Der hat unglaubliches gemacht und diese fast schon abgestiegene Mannschaft noch gerettet.“

Sind die klassischen Feuerwehrmänner vor dem "Aussterben" bedroht?
Sind die klassischen Feuerwehrmänner vor dem „Aussterben“ bedroht?

Bernhard Peters, Nachwuchsförderer beim Hamburger SV, weist allerdings dabei auf die deutlich komplexere und breitgefächerte Ausbildung, die der Grund für den Wandel der Trainertypen sei. Ein ehemaliger Profi, der über 100 Länderspiele absolviert und auf Weltklasseniveau gespielt hat, habe nicht automatisch die Qualität dazu, Coach eines Bundesligisten zu sein. Peter Krawietz, Assistenztrainer von Jürgen Klopp beim FC Liverpool, sieht den klassischen Feuerwehrmann dennoch nicht vor dem Aussterben bedroht: „Selbst wenn alle Vereine den perfekten Konzepttrainer hätten, würden sich im Februar und März dennoch wieder ein paar Teams im Abstiegskampf befinden.“ Dies ist der Zeitpunkt der Brandschützer: „Wie erreicht er die Jungs? Warum ist Jose Mourinho beim FC Chelsea gescheitert? Es wird gesagt – er hat die Spieler in der Kabine verloren.“ So wichtig Konzepte auch seien – in bestimmten Momenten sind womöglich andere Qualitäten gefordert: „Dann kommt der erfahrene Trainer, der als Persönlichkeit vorangeht und den Karren aus dem Dreck zieht! Das wird weiterhin genauso gefragt sein!“

Vielleicht auch deshalb, weil sie die Sprache der Spieler sprechen und den Fußball als das lassen, was er ist – ein Sport, der eben keine Wissenschaft darstellt? „Polyvalenter Spieler? Ich nenne das vielseitig“, sagte Meyer trocken. Durch Fluidität (situationsbedingte Flexibilität), überladen (Überzahl in den Räumen situativ erzeugen), zwischen den Linien Unruhen beim Gegner erzeugen (keine feste Position haben und sich – gerne als die falsche 9 bezeichnet – permanent zwischen Mittelfeld und Sturm wechseln) und mit einem abkippenden Sechser, der sich den Aufbauspielern in der Abwehr anbietet und den Ball selbst nach vorne trägt, zum Erfolg?

Der Fußball – er hat sich in der Analyse tatsächlich verändert. Ob Veh, Schaaf oder Stevens inzwischen Exoten sind? Schwierig zu sagen. Aber: High-Tech, millionenschwere Gerätschaften, modernste Wissenschaften – die Möglichkeiten für Vereine sind groß, der Fundus, aus dem geschöpft werden kann, riesig. Die neue „Fußballwelt“ ist eine andere, die Diskussionen an den Stammtischen haben einen neuen Stil bekommen. Viererkette? Dreierkette? Fünferkette? Doppelspitze? Doppelsechs? Der falsche Neuner? Jürgen Klopp machte die taktischen Analysen als Experte bei dem WM 2006 salonfähig, Die Sport1 Spieltagsanalyse wurde im Zeitraum vom 17.08.2015 bis 15.02.2016 im Schnitt von 340.000 Zuschauern verfolgt – trotz später Sendezeit montags um 22.15 Uhr.

Doch was bedeutet das für die Spieler? Kovac beispielsweise ist ein Verfechter der Videoanalysen und möchte so Probleme, aber auch gute Szenen aufzeigen. Krawietz fordert ein richtiges Maß und erklärt anhand eines Beispiels am Medium Halbzeitanalyse: „Hilft es uns, in unserer Situation? Wenn wir merken, dass unser Aufbauspiel nicht gut ist, aber Räume da sind, in die wir systematisch reinspielen könnten und wir sehen, dass unsere Spieler diese nicht erkennen – dann wollen wir hier einwirken.“ Das Paket, das ein Übungsleiter inzwischen bieten muss, ist groß geworden. Pädagoge, Psychologe, Fachmann, Menschenfänger, Konzeptentwickler, Scout, ferner noch ein Gespür für Fans und Entwicklungen im Verein haben – der Coach braucht ein gutes, sich aus sportlichen Topexperten zusammengesetztes Trainerteam, um dauerhaft Erfolg haben zu können. Die „neue Fußballwelt“ – komplex, anspruchsvoll – aber zugleich hochspannend und sich doch immer wieder weiterentwickelnd.

- Werbung -

3 Kommentare

  1. Kovac möge bitte versuchen Modric zu uns zu holen. Ohne Ablöse und für max 3 Mio gehalt 😀

    0
    0
  2. Das Thema Videoanalyse is sehr wichtig. Damit kann ich genau die Szenen zeigen, bei denen etwas schief oder besonder gut lief. Pep macht das wohl auch zum Teil einzeln mit den Spielern. Quasi Individual-Coaching-.

    0
    0
  3. Nicht Modric wird kommen sondern Mocinic, den hat er auch damals überraschend zur WM nominiert, hat sich nur leider verletzt !!!

    0
    0

Keine Kommentare mehr möglich.

- Werbung -