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Der Kreis nach dem Heimspiel gegen Lazio Rom. Kapitän David Abraham und Trainer Adi Hütter nehmen den trauernden Torró in den Arm. (Foto: imago/Jan Hübner)

Torró-Tragödie: Der Moment, als Fußball plötzlich Nebensache wurde

Es gibt diese Momente, in denen eine ganze Fangemeinde und jeder noch so leidenschaftliche Anhänger spürt und erlebt, dass Fußball zwar die schönste, aber immer noch eine Nebensache ist. Im vergangenen Jahr erlebte Eintrachts Lucas Torró einen solchen Moment, als sich eine rauschende Europapokalnacht mit Schmerz und Leiden mischte und so zu einer Nacht der Tränen wurde.

Historische Europapokalnacht in jeglicher Hinsicht – Torró verliert Bruder

Der 4. Oktober 2018 wäre auch so in die Geschichtsbücher der Frankfurter Eintracht eingegangen. Der 4:1-Heimsieg über die favorisierte Lazio aus Rom mit einem Doppelpacker Danny da Costa und einer entfesselt aufspielenden Mannschaft berauschte die ausverkaufte Frankfurter Kulisse. Doch nach Abpfiff ereignete sich Kurioses. Trainer Adi Hütter versammelte sein Team umgehend im Kreis, wurde still und andächtig. Lucas Torró brach quasi zuvor schon mit dem Abpfiff in Tränen aus. Auf der anschließenden Pressekonferenz wurde der Trainer zu einem vermeintlich neuen Ritual befragt und lüftete mit wässrigen Augen das Geheimnis des Tages. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war Torrós Bruder Pablo in Spanien verstorben. Stille breitete sich im prallgefüllten Konferenzraum aus. Gefühle von Trauer und Mitgefühl machten sich breit. Gefühle von Ehrfurcht und tiefem Respekt, als der Österreicher kundtat, dass der 23-Jährige Mittelfeldmann trotz des Trauerfalls unbedingt spielen wollte. Bewunderung und Anerkennung, als sich die anwesende Journalie bewusstmachte, welche Performance der Neuzugang soeben ablieferte. Emotionen machen sich auch jetzt noch breit, denkt man an die Nacht vom 4. Oktober zurück.

Torró spricht über Todesursache – Videochat am Vorabend

Mehr als drei Monate sind seitdem vergangen, Lucas Torró sprach nun mit der „Bild“ über die Vorfälle, über schwere Wochen und den Schicksalsschlag für ihn und seine Familie. „2018 war ein Jahr mit einigen Höhen, aber auch unfassbaren Tiefen”, beschreibt der Mittelfeldspieler seine Gefühlslage. „Erst die Freude, dass ich bei Eintracht einen Vertrag unterschreiben durfte und die ersten Wochen, und dann schlug das Schicksal zu.” Torró beschreibt die Phase als die bisher schwerste seines Lebens. Die Obduktion seines Bruders ergab, dass er an einem Hirnödem gestorben ist. Laut den Ärzten habe er nicht gelitten. „Es war ein plötzlicher Tod im Schlaf ohne Qual.” Dennoch kam der Schicksalsschlag aus heiterem Himmel. Übelkeit und niedrigen Blutdruck, über die er in den Wochen zuvor geklagt hatte, führte er auf den zeitintensiven Job als Bäcker zurück. Am Abend des 3. Oktobers haben die Eltern, die bei Lucas in Frankfurt zu Besuch waren, und Lucas mit dem Bruder per Videochat kommuniziert. „Es ging ihm gut, er war fröhlich.”

Entscheidung für das Spiel 

Am nächsten Morgen allerdings erschien sein Bruder nicht wie gewohnt auf der Arbeit. Die gemeinsame Schwester und der Schwager schauten nach ihm und fanden ihn in dessen Wohnung. Die gelernte Krankenschwester versuchte noch ihn zu reanimieren. Ohne Erfolg. Als die Nachricht aus Spanien kam, schlief Lucas noch, seine Eltern weckten ihn. „Sie waren am Boden zerstört. Ich habe versucht, einen klaren Gedanken zu fassen, sofort für uns drei Flugtickets besorgt.“ Nach einigen Gedankengängen dann die Wende: „Da war dieses Spiel und ich schon irgendwie im Tunnel. Deshalb habe ich gesagt: ‘Ich spiele!'” Anfangs habe er den Tod noch nicht wirklich realisieren können, stand noch unter Schock. „Doch je länger der Tag anhielt, desto bewusster wurde mir, was passiert ist, desto schlimmer wurden die Gefühle und der Schmerz in mir.”

Gespräch mit Hütter – Trainer vertraut Torró und hält alles geheim

Eigentlich entschied sich Torró, den ganzen Vorfall vor Verein und Mannschaft geheimzuhalten, „aber im Laufe des Vormittages wusste es Adi Hütter.” Die beiden haben sich in ein Vieraugengespräch ins Trainerbüro zurückgezogen. „Da habe ich nochmal meinen Wunsch bekräftigt, dass ich am Abend spielen will, mich trotz allem bereit dazu fühle und der Mannschaft helfen kann.” Hütter sprach ihm das Vertrauen aus. „Das war mir sehr, sehr wichtig.” An dieser Stelle sei angemerkt, welch sportliches Risiko der Österreicher eingegangen ist, um dem Menschen hinter dem Spieler das zu geben, was er in dieser Situation brauchte. Menschlich kann man dies dem 48-Jährigen wohl gar nicht hoch genug anrechnen. Beide entschieden sich trotz allem zur strikten Geheimhaltung. „Das war dann die größte Herausforderung des Tages”, schildert Lucas. „Man weiß ja, wenn eine Nachricht von einer derartigen Tragweite die Runde macht, wird alles noch schwerer.”

Torró bedankt sich mit Leistung – Nach dem Abpfiff brechen alle Dämme

Nach dem Abpfiff sackt Lucas Torró (r.) zusammen. (Foto: imago/Jan Hübner)

Es gelang. Weder die Medien noch das Team erfuhren vor Abpfiff etwas von der Tragödie. Und Lucas Torró zahlte Hütters Vertrauen zurück. Mit einer bockstarken Leistung in der Defensivzentrale trug er großen Anteil am 4:1-Sieg bei. „Ich habe versucht, möglichst natürlich zu sein, mir die ganze Zeit nichts anmerken zu lassen. Es war natürlich alles andere als leicht.” Mitte der zweiten Halbzeit wurde es immer schwerer. „Die Gedanken an Pablo und seinen Tod kamen sehr stark hoch.” Doch der Wille war da, für den verstorbenen Bruder zu spielen. Torrós Gedanke war: „Ich will nicht einfach nur spielen, ich will ein gutes Spiel machen. Ich glaube, er hat mir die Kraft gegeben, sonst wäre es mir wahrscheinlich unmöglich gewesen.”

Nach dem Abpfiff allerdings brachen alle Dämme. „Da hat mich die Trauer übermannt, aber auch die Wut über diese Ungerechtigkeit. Da bin ich explodiert.” Torró brach in Tränen aus und verwirrte seine Teamkollegen. Doch sein Coach hatte die Situation – von Anfang an – absolut im Griff. „Ich muss sagen, dass ich ihm sehr dankbar bin, wie er die Situation gemeistert hat, alles gehändelt hat. Wie er erst die Mannschaft auf dem Rasen informiert hat und danach vor der Presse aufgetreten ist”, drückt Torró Dankbarkeit und Respekt für seinen Trainer aus.

Dank an Trainer und Fans – Torrós neue Perspektive auf das Leben

Ebenso richtet er Dank und Lob an den Anhang der Eintracht. „Für mich als Spieler von Eintracht Frankfurt war es einfach unglaublich, wie mir hier geholfen wurde. Das hat mich unheimlich berührt und so etwas hilft, durch solche schweren Zeiten durchzukommen.” Drei Monate später geht Lucas Torró gestärkt aus alldem hervor. Einen Todesfall in der Familie hatte er zum ersten Mal erlebt. „Das prägt ungemein. Es kann dich kaputt machen, aber auch das Gegenteil. Mich hat es stärker gemacht.” Durch die Tragödie habe er eine andere Perspektive auf sein Leben bekommen. „Du merkst, dass du die vorher einen Kopf über Dinge gemacht hast, die sowas von belanglos und nichtig sind. Du fängst an, Dinge in eine ganz andere Relation zu setzen.” Als Familie seien sie ohnehin durch die schwere Zeit zusammengewachsen und „mein Bruder lebt weiter, in meinen Gedanken, in den Gedanken von uns allen. Wir werden uns immer an ihn erinnern, und er wird immer einen sehr großen Platz in unseren Herzen einnehmen.”

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5 Kommentare

Fallback Avatar 1. Inamoto1 11. Januar 19, 13:29 Uhr

Toller, bewegender Beitrag! Es spricht für Lucas und unseren Trainer, wie diese Situation angegangen wurde.

Familie ist keine Selbstverständlichkeit, diese Geschichte ruft es uns allen nochmal ins Gewissen.

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Fallback Avatar 2. sauerlaender1 11. Januar 19, 13:52 Uhr

Wirklich eine unglaubliche Geschichte und ein sehr gut geschriebener Artikel. Ich habe in den letzten 2 Jahren selber 2 enge Familenmitglieder verloren und kann Lucas´Situation und Gefühlswelt sehr gut nachvollziehen. "Hut ab" vor seinem Einsatz und wie er und sein Umfeld damit umgegangen sind; und eines ist ganz klar, Fußball ist eben doch nichts anderes als eine Nebensache

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Fallback Avatar 3. hausi3 11. Januar 19, 14:23 Uhr

Kann das auch sehr gut nachvollziehen, mein Vater ist 2007 ,am Tag der Handball Weltmeisterschaft verstorben ,ich war da auf Montage und wurde angerufen ,ist ja schon geil wenn unser Land Weltmeister wird,aber war dann auch nur noch Nebensache.

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Fallback Avatar 4. muc_adler 11. Januar 19, 16:57 Uhr

Respekt für alle Beteiligten, die diese Situation angepasst, behutsam, respektvoll und soweit möglich entgegenkommend gelöst haben. Insgesamt alles richtig gemacht. Sehr schön zu lesen, daß es hinter dem Team und im gesamten Umfeld der Verantwortlichen, Menschen mit Fingerspitzengefühl gibt.
Anderes Thema, aber ein bisserl schade finde ich die aktuelle Entwicklung rund um W. Funkel. Das hat er so nicht verdient. Ich mochte seine Art Fußball zu spielen nicht, aber er hat aus wenig eben auch verstanden das Meiste rauszuholen und eben das spielen lassen, was der Kader hergegeben hat. Ähnliches leistet er mit großem Erfolg bei Düsseldorf. So kann's gehen.... Unverständlich !

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Fallback Avatar 5. knorzkopp 11. Januar 19, 19:35 Uhr

@4
Friedhelm Funkel nicht Wolfgang Funkel.
Ich schätze Friedhelm Funkel sehr. Er hat hier gute Arbeit geleistet, mit einem Budget, dass ähnlich dem von Düsseldorf war. Er hat uns ins DFB-Pokal Finale geführt und ist auch in der EL nur knapp in der KO-Runde gescheitert. Von dem Geld, dass dort verdient wurde durfte er keine neue Spieler verpflichten. Das Geld wurde nach dem Abstieg und Wiederaufstieg u.a. für Rob Friend und Occean ausgegeben. Gedankt hat es ihm keiner und kurz nachdem er gehen musste sind wir abgestiegen....

Mal sehen wie es Düsseldorf ergeht wenn Funkel nicht mehr da ist.

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