Das Schlimmste, was einem Autor in der Endphase einer Buchveröffentlichung passieren kann, ist, dass der Verlag abspringt und man mit einem fertig konzipierten Werk und leeren Händen dasteht. Jörg Heinisch, vielen Eintracht-Fans als treibende Kraft hinter “Fan geht vor” und als Verfasser vieler interessanter Bücher über die Geschichte der SGE bekannt, ist es so ergangen. Was war passiert?
Heinisch hatte einen Band mit Erlebnisberichten von Fans der Eintracht zu den Europapokalfahrten seit 1959 geplant und die Veröffentlichung mit dem Verlag “Die Werkstatt” fixiert. Berücksichtigt man die zehn Spiele im früheren Messecup – einem Vorläufer des späteren UEFA-Pokals – zählt der Herausgeber 69 Gegner, denen die SGE seit 1959 in offiziellen Europapokalspielen begegnete, und ebenso viel Reisen der zu Beginn noch überschaubaren Fangruppen. Die in dem 172 Seiten umfassenden Band dokumentierten Reiseberichte sind sehr heterogen und subjektiv gehalten, handeln von dem, was Anhänger eines Fußballvereins vor, während und nach einem Spiel an logistischen und organisatorischem Aufwand betreiben müssen, von unvergesslichen und schnell zu verdrängenden Stadionerlebnissen, von Erfahrungen mit anderen Fans, einer fremden Umgebung und unbekannten Kulturen, kurz: Es schildert die Mühe, die Kosten, den Aufwand, vor allem aber den Reiz und die gemeinsamen Erlebnisse, die manchmal ein Leben lang im Gedächtnis bleiben. Zu einer solchen Dokumentation der Reiseberichte gehören allerdings auch Erfahrungen, die den meisten Auswärtsfahrern nicht unbekannt sind und aus Gründen der Vollständigkeit nicht verschwiegen werden sollen: Probleme mit den Sicherheitsbehörden, Alkoholexzesse oder manch anzügliche Anekdote.
Möglicherweise waren es die unzensierte Beschreibung dieser Begleiterscheinungen mancher Spiele oder die Fülle an Material, die den Verlag bewogen, kurzfristig aus dem Projekt auszusteigen und den Herausgeber im Regen stehen zu lassen. Die Manuskripte eines Buches über Auswärtsfahrten aus mehr als 50 Jahren auf dem Schreibtisch, sah sich Heinisch vor die Alternative gestellt, das Projekt einzustampfen, einen neuen Verleger zu suchen oder ganz auf die Unterstützung eines Verlages zu verzichten und den Band im Selbstverlag, auf eigenes finanzielles Risiko und ohne die logistische Unterstützung durch einen professionellen Vertriebspartner herauszugeben. Heinisch wagte den riskanten Schritt, publizierte das Buch unter dem Label „Fan geht vor“, vertreibt es nun alleine und ist darauf angewiesen, dass sein Werk unter Eintracht-Fans bekannt wird.
26 Autoren bzw. 30 Fotografen waren an dem Projekt beteiligt, neben den üblichen Verdächtigen wie Axel „Beve“ Hoffmann, Ulrich Matheja und Andreas „Pferd“ Hornung auch weniger bekannte Namen. Das Buch erscheint gebunden als Hardcover im Format DIN-A4 und enthält 400 Fotos, davon viele in Farbe. Ungefähr die Hälfte der Beiträge sind Erstveröffentlichungen; die anderen Texte sind in schwer zugänglichen Veröffentlichungen, in früheren Publikationen von Heinisch oder in längst vergriffenen Ausgaben von „Fan geht vor“ erschienen. Der Autor, Herausgeber, Redakteur und Verleger in Personalunion weist ausdrücklich darauf hin, dass das Werk in limitierter Auflage erscheint; einen Nachdruck soll es aufgrund der hohen Kosten nicht geben!
Wenn man das soeben ausgelieferte Ergebnis betrachtet, muss man feststellen: Die Beharrlichkeit und das Risiko des Herausgebers haben sich ausgezahlt. Den Leser erwarten bewusst keine Spielberichte, sondern Dokumente von Zeitzeugen, die in Beiträgen unterschiedlicher Form, Länge und Qualität unter Beweis stellen, was die Faszination von Auswärtsfahrten damals und heute ausmacht. Stand ab Anfang der 1960er-Jahre das eigentliche Reiseerlebnis in Länder wie England oder Spanien im Vordergrund – wovon Zugtouren mit dem Interrail-Ticket oder die Bildung abenteuerlicher Fahrgemeinschaften zeugen –, waren es später vor allem Ziele wie Kiew, Donezk oder Rostow, die – vor dem Fall des eisernen Vorhangs – ihren ganz besonderen Charme entfalteten. Die Europa League-Saison 2013/14 mit den Höhepunkten der Begegnungen in Bordeaux und Porto ist auch jüngeren Eintracht-Fans noch geläufig, aber wer erinnert sich noch an das Europapokalspiel gegen den nordirischen Vertreter FC Coleraine 1975 vor 3.500 Zuschauern oder die Begegnung bei Sakaryaspor A.S. 1988, eines Vereins, der mittlerweile in der vierten türkischen Liga spielt? Mit den individuellen Eindrücken der Erlebnisberichte, den unschätzbaren Fotos, auf denen viele bekannte Gesichter – u.a. wiederholt „Adi“ Adelmann und der junge Peppi Schmitt – zu erkennen sind, und den statistischen Angaben zu den Spielen nimmt uns Heinisch mit auf eine Reise in die Vergangenheit, die nicht selten wehmütige Erinnerungen, aber zugleich Hoffnungen auf eine Wiederkehr der glorreichen Zeiten hervorrufen.
Jeder Teilnehmer an diesen Auslandsreisen hat seine eigene Motivation, warum er diese Strapazen, diesen Aufwand und diese Kosten auf sich nimmt. Das Buch und die vielen lesenswerten Berichte lassen erkennen, dass nicht nur die Freude am Fußball und die Leidenschaft für die SGE ein so ausgeprägtes Fernweh auslösen. Nein: Jede einzelne Fahrt bedeutete ein kleines oder größeres Abenteuer mit Gleichgesinnten, von dem man vorher nicht wissen konnte, wie es ausgehen würde. Es ist das Verdienst von Jörg Heinisch, dass er die Faszination dieser Reisen in die Ungewissheit zum Ausdruck bringt, uns daran teilhaben oder in Erinnerung schwelgen lässt und zugleich beim Lesen die Vorfreude auf die nächsten Reisen entfacht.
Ob Rom, Mailand oder London … Europapokal-Erlebnisberichte der Fans von Eintracht Frankfurt seit 1959. Hrsg. von Jörg Heinisch, 172 Seiten, 20,00 Euro zzgl. 2,00 Euro Versand, Frankfurt am Main 2016. Das Buch wird nicht über den Buchhandel vertrieben; Bestellungen sind möglich über www.fan-geht-vor.de oder per Mail an fgv@gmx.net.
4 Kommentare
Link zu fgv funzt bei mir ned.
Danke für den Hinweis. Der Link wurde korrigiert.
Wer hat die Überschrift auch "gesungen" statt "gelesen"? :-D
@3: ich:-)
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