Die Diskussion um Fußballfans und Gewalt ebbt nicht ab. Der Frankfurter Fan-Experte Stephan von Ploetz sprach mit hr-online über Probleme im Stadion, Pyrotechnik und Selbstreinigung in der Fankurve.

hr-online: Herr von Ploetz, in den vergangenen Wochen ist sehr viel über Fans und Gewalt geschrieben und diskutiert worden. Von Ministern bis Funktionären fühlen sich auf einmal alle zu Fanexperten berufen. Sie haben engen Kontakt zur Szene. Gibt es ein Fanproblem?

Stephan von Ploetz: Ein Fanproblem gibt es nicht. Natürlich machen Fans im Stadion Probleme, das ist offensichtlich und das wissen die Fans auch. Aber ich finde, dass diese Probleme nicht immer größer werden. Die vorhandenen Regularien und Ordnungssysteme reichen aus. Es ist ja nicht so, dass der Fußball schutzlos irgendwelchen Horden ausgeliefert ist.

hr-online: Dann ist vieles von Medien und Funktionären aufgebauscht?

Stephan von Ploetz: Es ist ein großer Hype. Da wird ein Bild gezeichnet, das der Realität und dem Fan-Alltag nicht gerecht wird. Ich kann nur sagen: Lernt die Leute selber kennen. Man muss das nicht alles gut finden, aber es ist nicht in erster Linie gefährlich. Letztendlich gibt es in Stadien in der ersten und zweiten Liga kein fußballspezifisches Gewaltproblem, es ist nicht gefährlicher als der Aufenthalt an anderen öffentlichen Orten, etwa der U-Bahn. Ich sage nicht, das ist alles gar nicht so schlimm. Aber ich plädiere für einen angemessenen Umgang damit. Bei der Bewertung scheint manchmal der gesunde Menschenverstand auszusetzen.

hr-online: Aber wieso steuert die öffentliche Diskussion in diese Richtung?

Stephan von Ploetz: In der Diskussion werden von Medien und Funktionären Tatsachen gesetzt. Der Düsseldorfer Platzsturm beispielsweise: Natürlich kann man einen Platzsturm nicht gutheißen, aber das hatte doch nichts mit gewalttätiger Randale zu tun. Laut Polizei gab es auch keine Verletzten, aber alle reden nur von Gewalt und Brandgefahr. Als Experte hat man da keine Chance, die Situation sachlich zu analysieren. Wenn man sagt, das ist alles gar nicht so schlimm, dann gilt man als Verharmloser. Und wenn man einige Dinge zugesteht, heißt es: Die Fan-Experten sagen das auch.

hr-online: Jetzt sind aber beide Seiten in dieser Argumentation gefangen. Der DFB muss in dieser Logik alles verteufeln und die Fans fühlen sich in ihren Rechten eingeschränkt.

Stephan von Ploetz: Die Schere geht immer weiter auseinander. Aber ich stelle mir die Frage, macht es Sinn, weiter so zu kriminalisieren? Wenn ich etwa höre, dass man für Fans Fußfesseln verwenden soll: Das ist ein ganz außerordentliches Mittel der Gefahrenbekämpfung. Wir haben es doch nicht mit Kriminellen zu tun. Man muss im Blick behalten, dass es hier um Maßnahmen geht, die vom DFB im Rahmen seines Hausrechts erwägt werden und nicht um eine Strafe die von einem öffentlichen Gericht wegen einer erwiesenen Straftat verhängt wird.

hr-online: Die Diskussion entzündet sich immer mehr an der Pyrotechnik. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Stephan von Ploetz: Wichtig ist, zu differenzieren: Das Fanprojekt ist ein ganz entschiedener Gegner von allen Sachen, die die Hand verlassen. Böller oder Bengalos, die geworfen werden, sind Waffen. Das darf man mit der Pyrotechnik-Debatte nicht vermischen. Die Fans haben gesagt, für uns gehört Pyrotechnik, im Sinne des Ausdrucks einer Fankultur dazu und wir wollen das legal nutzen. Da gab es dann lange Diskussionen und auf einmal kamen präsidiale Worte von DFB und DFL: Jede Form von Pyrotechnik ist eine Straftat und Gewalt. Seitdem wird in diesem Zusammenhang nur noch über Straftat und Gewalt diskutiert. Damit sind Tatsachen geschaffen worden. Wir waren für eine Legalisierung, wenn der Rahmen mit allen Beteiligten abgesprochen wird. Jetzt können wir das Thema gar nicht mehr ansprechen.

hr-online: Wie kam es zu dieser „präsidialen“ Entscheidung?

Stephan von Ploetz: Der Ofen war auf einmal aus. Da wurde von den Verbänden eine Chance zur Verständigung vertan, weil man aus der Position der Stärke heraus einen Schnitt machte. Ich würde sagen, die verschiedenen Interessens-Gruppen müssen sich zusammensetzen, aber das geht nicht mehr, weil über Pyrotechnik nicht mehr diskutiert werden darf.

hr-online: Aber was hilft dann? Wie kann man die Situation verbessern?

Stephan von Ploetz: Helfen würde vor allem ein angemessener Umgang. Ein Fußballstadion ist per se nicht gefährlich. Wir haben die Situation, dass bei Menschen Angst erzeugt wird, die gar nicht ins Stadion gehen und das Ganze nur über die Medien erfahren. Man befördert dadurch bei Jugendlichen einen Nachahmungseffekt, anstatt das Thema runter zu kochen und zu normalisieren. Mit Normalität meine ich nicht, alles gut zu finden, sondern einen ausgewogenen und differenzierten Umgang. Gerade von Seiten der Stärkeren kann man Langmut und Toleranz vorleben. Entwicklungen dauern ihre Zeit. Und ich wette, dass nicht alles immer schlimmer wird.

hr-online: Sehen Sie die Gefahr, dass es durch diesen Konflikt auf zu einer Verhärtung auf Seiten der Fans kommt?

Stephan von Ploetz: Wenn du immer eins auf den Deckel bekommst, sagen die Leute irgendwann, das schreckt uns auch nicht mehr. Harte Drohungen haben die Tendenz irgendwann abzustumpfen. Für die Fangruppen ist das Stadion als Ort des Zusammentreffens in dem sich Regulationsmechanismen ausbilden sehr wichtig.

hr-online: Meinen Sie damit Regulationsmechanismen innerhalb der Fans?

Stephan von Ploetz: Die Kurven sind sehr gut organisiert und die Ultras haben eine hohe soziale Kontrolle. Klar läuft da nicht alles gut. Aber ich glaube, wenn die Ultras einmal nicht mehr im Stadion sind – dann wird das nicht besser. Die Gefahr ist, dass dann junge Fans kommen, die sich nicht mehr organisieren und dass sich die Szenen radikalisieren. Es ist eine Ästhetik des Verbotenen und der Gewalt, die durch die Verbände und Medien gezeichnet wird. Das ist für Jugendliche ja nicht abschreckend. Da will man dabei sein, das will man gefilmt haben. Das Problem ist auch, dass nur interessiert, was im Stadion passiert. Je mehr Leute Stadionverbot bekommen, desto mehr spaltet sich das Ganze in Lager. Ob sich dann außerhalb Nischen bilden oder Radikalisierungstendenzen entwickeln – das interessiert dann keinen mehr. Zu glauben, wenn 150 Leute nicht mehr da sind, dann ist alles friedlich – so funktioniert das nicht.

hr-online: So wie beim Pokal-Spiel Eintracht Frankfurt gegen Kaiserslautern, als es ja auch außerhalb des Frankfurter Stadions Angriffe auf Polizei und Lautern-Fans gab.

Stephan von Ploetz: Das ist ein Beispiel für die ganze Diskussion. Da waren viele Gruppen da, die ich noch nie vorher gesehen habe. Dann heißt es, das waren alles Ultras und generalstabsmäßig geplant. Da sage ich: Nein. Das passiert, wenn es einen Medienhype gibt. Dann denken viele, da will ich auch dabei sein. Dann gibt es einen Haufen von unorganisierten Kleingruppen und diese Regulationsmechanismen greifen nicht mehr, weil sich die Fans untereinander nicht mehr kennen.

hr-online: Bei der Eintracht heißt es immer gerne, man setze auf Selbstreinigung. Sehen Sie das als richtig an und hat das Erfolg?

Stephan von Ploetz: In jeder Gruppe muss es Selbstreinigung, also Selbstregulation geben. Das heißt, wenn etwas zu viel wird, müssen Leute da sein, die sagen: Macht das anders. Es müssen Gruppenstrukturen da sein, um Sachen schnell zu transportieren. In Frankfurt haben die Ultras und andere Gruppen sehr wohl Kontakte zueinander und können Dinge initiieren. Dann gibt es tatsächlich so etwas wie eine Selbstregulation. Das Problem ist, wenn man zehn Probleme hat und davon werden fünf selbst gelöst und fünf erst mal nicht, dann wird die ganze Szene an diesen fünf unerledigten gemessen und nicht an den fünf gelösten. Letztendlich ist eine Selbstregulation das A und O, aber das braucht Zeit – und da muss man Geduld haben.

Quelle: hr-online

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18 Kommentare

  1. Kernaussage für mich:

    „Als Experte hat man da keine Chance, die Situation sachlich zu analysieren. Wenn man sagt, das ist alles gar nicht so schlimm, dann gilt man als Verharmloser. Und wenn man einige Dinge zugesteht, heißt es: Die Fan-Experten sagen das auch.“

    Leider wird das öffentliche Meinungsbild von Leuten gesteuert, die sich mit der Szene gar nicht differenziert auseinander setzen. Und diejenigen, die Detailkenntnis haben, kommen nicht zu Wort, werden meist erst gar nicht gefragt! Die Situation ist extrem verfahren, und ich fürchte, das Schlimmste steht uns erst noch bevor!

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  2. AHA! Jugendliche Fans wollen ins Fernsehen, da dies nur mit Gewalt geht, sollte diese Gewalt organisiert sein.
    Gibt es eigentlich noch Fußball-Fans, die in die Kurve gehen einfach um ein Spiel zu sehen, oder ist die Kurve nur noch Plattform für seltsame Eigenbedürfnisse? Wodurch wird man eigentlich Fan-Experte? Weil man eine Internetseite schaltet und einen Verein gründet?

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  3. @SGErules
    Man muss die Szene auch nicht kennen, wenn man ein Spiel sehen will. Egal wer die Bengalos zündet, ob Ultras oder pupertierende Jugendliche, es ist nicht erwünscht weil es dem Verein und dem Fußball schadet, Spielabrüche verursachen kann und schlimmsten Fall zu starken Verletzungen und Panik führen kann. BASTA!

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  4. @Grantler:

    Wodurch wird man eigentlich Fan-Experte? Weil man eine Internetseite schaltet und einen Verein gründet?

    Sicherlich nicht. Aber sicherlich, wenn man seit ewigen Zeiten das Frankfurter Fanprojekt leitet/mitarbeitet und dadurch weiss wovon man spricht.

    Bevor man über Leute urteilt, sollte man sich entsprechend informieren. Danke!

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  5. @3. und 4. und wahrscheinlich @6. 😉 oje… da kann auch niemand mehr helfen. hast Du das interview gelesen? weil verstanden hast Du es wohl offensichtlich nicht ein bisschen. da gibt es vom fanprojektleiter des frankfurter fanprojekt mal ein interview aus einer anderen sicht und nicht wie alle anderen medien mit so einer einseitigen gewichtung, sofort wird so ein scheiß geschrieben: „Wodurch wird man eigentlich Fan-Experte? Weil man eine Internetseite schaltet und einen Verein gründet?“
    was soll das denn???

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  6. @5.6.
    Es war eine Frage und kein Urteil, denn ihr habt recht ich kenne ihn nicht.! So viel zur Frage, ob ich Texte verstehe. Eurer Antwort entnehme ich, das wir alle Fan-Experten sind. Hatte eigentlich auf meine Frage auf eine andere Antwort gehofft. Z. B. er ist Psychologe, Soziologe von mir aus auch Streetworker jemand halt der sich mit dem Thema neutral auseinander setzen kann (nicht muss, da er ja sich ja als Sprecher seines Fan-Projekltes zu Wort meldet).

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  7. @ Grantler

    Um ein Spiel zu sehen, muss man die Szene nicht kennen, keine Frage. Aber wenn man sich ein Urteil über die Szene (und nicht nur das Spiel) bildet, dann ist man im Interesse der Fairness dazu verpflichtet, sich über sie zu informieren.

    Von Plötz nicht zu kennen, der das Fanprojekt seit sicher 10 Jahren leitet, spricht schonmal nicht für eine vertiefte Betrachtung der Fanszene! Den kennen sie doch in der ganzen Republik!

    Seine Ausbildung kenne ich nicht – dürfte sehr leicht zu googlen sein. Ich würde aber mal ganz sicher davon ausgehen, dass er eine ausgewiesene erzieherische/sozialpädagogische Expertise dafür hat, sonst würde er das Projekt nicht leiten dürfen. Denn finanziert wird das nicht von den Fans oder der SGE, sondern meiner Erinnerung nach aus öffentlichen und Verbandsmitteln (DFB, Stadt FFM und evtl sogar Land/Bund; zumindest mein letzter Stand). Die würden das sicher nicht tun, müssten sie für hten, dass er einseitig nur pro UF Auftritt, egal, was geschehen ist.

    Insgesamt ein Thema, dem man nur dient, wenn man sich damit befasst und nicht vorschnell urteilt!

    Ach ja, eine Bitte, weil das hier einfach ein zu wichtiges Thema ist: Don’t feed

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  8. @SGErules
    Danke für Deine Äußerung/Meinung – ich verurteile in meinen Äußerungen ja nicht die Fanszene als solches, nur die die sich nicht an die Regeln der Hausherren halten, egal ob sie sich den Ultras zugehörig fühlen, oder den „wasweissich“. Das ich den Experten nicht kenne liegt daran das ich im Rheinland die Eintracht-Fahne seit Jahrzehnten hochhalte und mich daher sicherlich in der Szene nicht auskenne. Aber auch ich bin halt Fan, wenn auch nicht organisiert und bitte daher zu respektieren, dass ich ins Stadion gehen möchte ohne irgendwelche Befürchtungen und sei es nur ein Spielabbruch. Leider können wir es nicht beim Bier besprechen, das wäre einfacher. VIELE werden jetzt aufatmen, ich werde mich aus der Ferne zu diesen Themen nicht mehr äußern, aber über Spieler, Trainer, Vorstand darf ich doch noch meckern, oder?

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  9. Du darfst selbstverständlich weiterhin über alles Meckern (wobei ich ja lieber Beiträge lese, in denen man sich positiv äußert 😉 ), auch über Fanverhalten. Da gibt es ja auch genug dran auszusetzen. Ich werbe nur dafür, dies nicht auf Grundlage journalistisch fragwürdiger Hetze und Übertreibung zu machdn, sondern die jedem zur Verfügung stehenden Mittel, sich selbst unvoreingenommen zu informieren, zu nutzen.

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  10. Ist es nicht so, dass Pyrotechnik von Gesetz wegen verboten ist? Ausnahme sind 3 Tage vor Silvester und Sondergenehmigungen. Diese Sondergenehmigungen können aber nicht vom DFB oder der DFL oder dem Stadionbetreiber verteilt werden. Deswegen weiß ich nicht, wie der DFB Pyrotechnik legalisieren kann/soll. Vielleicht hat jemand hier eine Lösung.

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  11. Gesetze werden überbewertet. Wer sich an Gesetze hält, ist ein kleinbürgerlicher Narr, der sich von der Obrigkeit, die nur an der Geldvermehrung und Machtwahrung interessiert ist, in apodiktischer Weise indoktrinieren lässt, wie er zu leben hat. Wahre Freidenker und Visionäre sind weit über jedes Gesetz erhaben.

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  12. @schleifer:

    pyrotechnik ist erstmal überhaupt nicht verboten.
    es gibt pyrotechnik, die nur vor/an sylvester gekuaft und benutzt werden darf, dann gibt es pyrotechnik, die nur von bestimmten personen (mit ausweis) gekauft und benutzt werden drüfen, meist in zusammenhang mit irgendeinem fest und letztlich gibt es pyrotechnk, die in deutschland weder verkauft noch bessesen oder gar benutzt werden darf.

    falls dfb, stadionbetreiber, stadionbesitzer, und kommunen zusammenarbeiten, gäbe es überhaupt kein problem, dafür genehmigungen zu erhalten.
    das würde bedeuten, dass ín bestimmten bereichen, zu bestimmten zeitpunkten und von bestimmten dazu berechtigten personen, pirotechnik im stadion eingesetzt werden kann.

    schaut euch doch mal an, was stars inzwischen bei ihren konzerten an pyrotechnik benutzen. das sollte zeigen, dass genehmigungen vergeben werden, wenn das alles anständigt organisiert werden würde.
    bei einem kontrollierten abbrennen, wäre auch die gefahr gebannt, dass sich irgendwelche menschen verletzten.

    leider ist aber weder stadt, noch polizei, noch politik, noch dfb daran interessiert, das problem auf diesem weg zu lösen, weil sie sich lieber als hardliner profilieren.
    den fans ist das letztlich scheißegal.
    die zündeln sowieso – nur jetzt ist es eben verboten, gefährlich und wird bestraft…

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