Die Ära von Andreas Möller ist in Frankfurt beendet. Nicht erst – wie zunächst geplant – zum Saisonende, sondern bereits Ende März hat Möller den Riederwald verlassen und übergab das Zepter im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) an seinen Nachfolger. Alexander Richter gibt seit dem 1. April im NLZ den Ton an und hat sich bereits eingelebt, wie er im Gespräch mit dem vereinseigenen Podcast „Eintracht vom Main“ berichtete. Noch fremdelt er, augenzwinkernd, zwar mit dem hessischen Nationalgetränk, dem Äppler, und Handkäs mit Musik. Wo im Riederwald aber anzusetzen ist, um die Nachwuchsarbeit zu professionalisieren, das weiß der Ex-Bochumer ziemlich genau. Aus Richters Vita spricht eine Menge Erfahrung: Von 2008 bis 2022 verantwortete er die Jugendarbeit beim VfL Bochum auf unterschiedlichen Positionen und entdeckte das große Talent von Leon Goretzka. Wobei Richter bescheiden bleibt und sagt: „Leon musste man nicht entdecken – den hätte jeder entdeckt! Absolut jeder.“
Defizite im Zwischenmenschlichen
In seinem Job geht es aber nicht nur darum, Talente zu entdecken, sondern vor allem darum, sie menschlich und als Sportler zu entwickeln sowie ihr Umfeld, vor allem die Eltern, einzubinden. „Mit dem Ziel, unsere eigenen Jungs, die am besten hier aus dem Bereich kommen, uns gemeinsam im Stadion anschauen zu können. Deswegen bin ich hier!“ Doch dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Ohne seinen Vorgänger beim Namen zu nennen, legt er dabei einige Defizite aus den vergangenen Jahren offen: „Man muss in einem Nachwuchsleistungszentrum zunächst von Grund auf ein vernünftiges Arbeits- und Lernklima reinbringen. Das habe ich, wenn ich ehrlich bin, nicht sofort an allen Stellen erkannt. Wenn du oben Spieler rausbringen willst, musst du alle mitnehmen – egal ob es derjenige ist, der die Jungs abholt und zum Training fährt, oder ob es der Athletiktrainer, der Physiotherapeut oder der Chef-Trainer ist. Wir haben das Ziel, die ganze Abteilung mit einer hohen Qualität auszustatten, aber auch einen richtig guten Zusammenhalt zu haben, wo man sich streiten und auseinandersetzen kann, aber mit einer Meinung rausgeht und die auch vertritt. Da bin ich mir sehr sicher, dass in diesem NLZ ein riesiges Potential steckt. Ich bin fünf, sechs Wochen hier und es war nicht schwierig, das zu erkennen – man muss nur an den richtigen Schrauben drehen.“
In Frankfurt wird zukünftig rumrolliert
Als eine der ersten Maßnahmen hat Richter am Riederwald ein so genanntes rollierendes System eingeführt. Das Ziel dabei ist, Kontinuität bei den Nachwuchstrainern herzustellen. Richter erzählt: „Für die Talente und Familien ist es wichtig, vorher und frühzeitig zu wissen: Wer wird eigentlich in der nächsten Saison mein Trainer?“ Was kann man sich unter einem „rollierenden System“ vorstellen? Richter mit einem Erklärversuch: „Die Trainer in der U10 und in der U11 rollieren immer rum. Der U10-Trainer geht also mit seiner Mannschaft in die U11, geht danach wieder runter in die U10 und übernimmt die vorherigen U9-Spieler. Genauso ist es mit der U12/U13, U14/U15 und U16/U17. Das sind die acht Jahrgänge, die immer rumrollieren. U19/U21 nicht – die bleiben stehen, die Trainer.“ Ebenfalls kein Rumrollieren gibt es beim U9-Trainer, da die Kinder aus den U7- und U8-Jahrgängen erst einmal bei der Eintracht ankommen müssten.
Die zweite Mannschaft soll perspektivisch fast ausschließlich aus Nachwuchsspielern bestehen
Eine der größten Herausforderungen kommt auf Richter und seinem Team beim Neustart der U21 zu. Ab der neuen Saison tritt die zweite Mannschaft der SGE in der Hessenliga an. Richter hat bereits klare Vorstellungen, wie der Kader zusammengestellt sein soll: „Patrick Ochs [der sportliche Leiter der U16-U21, d. Red.] hat mit mir zusammen Gas gegeben und die Kaderplanung vorangetrieben. Wir haben aber auch entschieden, 2004er Jahrgänge, die eigentlich noch U19 spielen könnten, schon in diesen Kader aufzunehmen. Es hängt immer ein bisschen davon ab und ist sehr individuell zu betrachten, welchen Entwicklungsschub welcher Spieler jetzt braucht. Es kann gut sein für einen Spieler, der noch A-Jugend spielen könnte, Herrenfußball zu spielen gegen 25-, 30-Jährige. Das ist manchmal kein Spaß – und man muss sich durchsetzen. Auf der anderen Seite kann es aber auch sein, gegen den VfB Stuttgart ein U19-Spiel zu machen. Deswegen haben wir die Struktur sehr jung aufgestellt. Es wird ein Prozess sein, dahin zu kommen, dass du später irgendwann einmal, vielleicht sogar hauptsächlich, mit Alt-Jahrgängen aus der A-Jugend spielst. Dann wären wir auf einem sehr hohen Level in dieser Liga. Dann ist vielleicht gar kein Älterer mehr in der Mannschaft, außer vielleicht ein Führungsspieler.“ Zunächst sei aber, noch unter seinem Vorgänger, vereinbart worden, Spieler von Hessen Dreieich bei Eintracht Frankfurt II aufzunehmen.
Premiere für die U19 in der Youth League
Eine weitere Baustelle ist die U19. Durch den Europa-League-Sieg der Eintracht und der erstmaligen Qualifikation für die Champions League betritt die U19 „Neuland“, da sie zugleich spielberechtigt ist für die UEFA Youth League. Die Youth League wird parallel zur Champions League ausgetragen: Die U19 bekommt dieselben Gruppengegner wie die Bundesliga-Profis, meistens finden die Spiele sogar am selben Tag und in der selben Stadt statt. Treffen die Profis etwa abends auf Juventus Turin, darf die U19 Stunden vorher bereits gegen die U19 von Juve um drei Punkte kämpfen. Wo genau die U19 ihre Youth-League-Partien zuhause austragen wird, ist indes noch offen. Richter: „Ich bin mir fast sicher, dass es nicht der Riederwald sein kann. Da müssen wir uns erst noch in die Statuten einlesen.“ Die UEFA hat hohe Anforderungen an die Spielstätte. Abseits der Frage des Spielortes kommt jedoch auch auf die U19-Talente einiges zu, wie Richter glaubt: „Es hat extreme Auswirkungen auf die Belastung der Spieler, die dann nicht nur A-Junioren-Bundesliga, sondern auch Youth League spielen. Da müssen wir noch schauen, was wir mit den 2004er Jahrgängen machen, mit dem Altjahrgang, die teilweise schon mit der U21 auflaufen sollen. Das werden wir im Einzelfall sehr genau steuern müssen.“
Individuelles Training soll die Talente auf dem Weg zum Profi unterstützen
Neben der Frage, wo und in welchen Ligen die Nachwuchsteams antreten, geht es Richter aber auch um Strukturen und um die richtige Philosophie. Den Trainern will er kein Spielsystem vorgeben, sondern lieber daran arbeiten, bestimmte Tugenden in die Köpfe der Talente zu bekommen – „da geht es darum, Ballbesitz zu haben, früh zu pressen“, nennt er im Podcast zwei Beispiele. Um die Rohdiamanten am Riederwald weiter zu schleifen, hat der Verein entschieden, einen Übergangstrainer zu verpflichten. Ralph Gunesch, bekannt als DAZN-Experte, soll sich zukünftig verstärkt und besonders um Jungprofis kümmern. Richter erklärt Guneschs Rolle: „Im NLZ musst du schauen, dass du die besten, die da sind, noch besser machst. Diese Spieler soll er in verschiedenen Trainingseinheiten individuell weiterbringen und trainieren – in Abstimmung mit dem Chef-Trainer Profis, mit Markus Krösche. Nach Videoanalyse werden wir Inhalte festlegen, die mit diesen Spielern gemacht werden. Das kann eine Zweier- oder Dreier-Gruppe sein, das können auch mal zehn auf einmal sein, wo man dann auch mal Fünf gegen Fünf spielt. In der Regel wird es aber so sein, dass wir sehr genau festlegen, was wir mit welchem Spieler machen: Zielvereinbarungen für drei Monate, einen genauen Trainingsplan festlegen, eine Zyklisierung und Belastungssteuerung. Du musst sehr detailliert arbeiten, um Jungs oben herauszubringen. Das ist seine Aufgabe. Wir haben vereinbart, dass er sich auch abseits des Platzes um den einen oder anderen kümmert und schaut, wo er herkommt und wo er wohnt – also auch das Soziale mitnimmt.“
8 Kommentare
Na das hört sich doch mal nach einem Konzept an.
Ohne jetzt gegen Möller nachtreten zu wollen, aber dieses Gefühl haben seine Aussagen über die Arbeit am Riederwald mir nie vermittelt
Habe heute Nacht den Podcast gehört.
Und ich muss sagen dieser Besen wird hier mal sauber machen und Disziplin einführen. Tolle Person bisher
Habe mir den Podcast angehört.
Für mich saß da jemand am Mikro, der genau weiss wie es laufen sollte. Und eine gute Mischung aus Disziplin, Empathie und Erfolgshunger mitbringt.
Ich hoffe, dass er mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet wurde, um auch was zu bewegen. Damit wir bald nur noch über die Abgänge von Broich & Co. lachen können.
Endlich mal einer der vernünftiges deutsch spricht!
Ich habe vor einiger Zeit eine Dokumentation über die NLZ der Bundesliga gesehen. Da taten sich menschliche Abgründe auf über Rassismus, Erniedrigungen und was was ich nicht noch alles.
Ich denke, dass die Strukturen überall ähnlich sind, aber so etwas darf es bei uns nicht geben.
Bisher sieht das gut aus, wenn man sich die Ausführungen von H. Richter anhört.
Auch ich habe den kompletten Podcast angehört.
Da war trotz vorsichtiger Sprache schon eine Menge Kritik an den Zuständen und Arbeitsweisen im NLZ aus den Vorjahren herauszuhören.
Offensichtlich waren die Konzepte von Bobic und Möller mehr auf Zufall aufgebaut , Geschichte.
Ich habe aus dem Podcast viele Grundsätze , aber gleichermaßen viele Kleinigkeiten herausgehört, die mich positiv für die Zukunft stimmen.
Die Wichtigste Erkenntnis ist aber , NLZ und die Entwicklung neuer Talente ist nichts was man Nebenbei schafft . Es braucht Strukturen, Arbeitsweisen und ein echtes Miteinander, genau wie bei den Profis.
Forza SGE !
Hab mir mal die Jugendspieler angesehen, die in der Zeit von Richter bei Bochum entdeckt worden sind. Das ist schon sehr beeindruckend.
- Goretzka
- Gündogan
- Klostermann
- Matip
- Bella-Kotchap
Wenn man dass so liest und die letzten 15 Jahre anschaut, dann ist es schön und bringt die Hoffnung, dass die unendliche Klüngelei ein Ende hat. Wir sind im Im Nachwuchsbereich Jahre hinter den Nlz wie Mainz oder anderen top Profi Teams. Möller hin oder her, davor waren oft auch nur Leute denen man halt einen Vertrag geben wollte. Die Abmeldung der zweiten Mannschaft war der Rückschritt hoch 10, und nun kommt einer der erklärt, dass auch der Busfahrer der Jungs professionell sein muss um mal bei der kleinsten Kleinigkeit zu bleiben…. Er dreht ja nun erst mal jeden Stein um. Wir als Adler haben ja kein Verständnis für den Karnevalsverein über dem Rhein, aber jeder einzelne Jugendspieler der mehr Talent hatte als der obere Durchschnitt ist, ohne groß zu überlegen, zum Karnevals Club gegangen statt zur ruhmreichen Eintracht. Hatte nur keinen hier interessiert leider, nur jeder forderte dass wir dich mal Jugend einbauen musste. 95% aller Profi anfangverträge der Eintracht wurden in den letzten Jahren doch nur vergeben um die Statuten zu erfüllen. Da war kein einziger ernsthafter Vertrag dabei, aber die Auflagen wurden erfüllt. Ich hoffe inständig, dass dort nun such der Kehrbesen angekommen ist…. Die aktuell handelnden haben nun halt das Pferd rückwärts aufgezäumt u d erst mal den Profi Bereich poliert. Der glänzt nun und nun geht es an das nlz. Sehr gut, war wichtig aber auch nicht verkehrt im Nachgang zunächst Profi Bereich und Infrastruktur zu wandeln. Nun kommt der nächste Schritt. Ich bin zufrieden und wünsche vor allem Geduld und viel Kraft, denn es wird keine 1,5 Jahre dauern um diese Missstände zu verbessern bis der erste Gotetzka da rauskommt…
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