04.06.2012, Fussball, 1. BL, Abschiedsfeier Vorstandsmitglieder Eintracht FrankfurtDer 20. Juni des Jahres 2000 war für den deutschen Fußball ein enorm wichtiges Datum. Gerade ging die Nationalmannschaft im dritten Vorrundenspiel der EM gegen Portugal in Rotterdam mit 0:3 unter. Über 90 Minuten zeigten sich Lothar Matthäus, Thomas Linke, Marko Rehmer oder Oliver Bierhoff hilflos, wenn die Südeuropäer, die mit ihrer B-Garnitur aufliefen, zauberten und mit Spielwitz, Kreativität und Technik die von Erich Ribbeck trainierten Bundesadler auseinandernahmen. Andere Nationen waren in diesen Monaten und Jahren deutlich enteilt. Italien, Spanien und auch England – die Topstars mieden damals die Bundesliga, die der Musik hinterherlief. Der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder erarbeitete deshalb zusammen mit Experten ein neues Konzept, um den Fußball in der Bundesrepublik wieder salonfähig zu machen.

Es ging also um nicht weniger, als die Zukunft des deutschen Fußballs zu sichern. So hieß es dann auch in der Richtlinie der DFL: „Ziel des Aufbaus von Leistungszentren ist es, die Qualität der Talentförderung im Lizenzbereich und oberen Amateurbereich zu optimieren. […] Die Leistungszentren sollen eine qualitativ hohe Ausbildung talentierter Nachwuchsspieler in den verschiedenen Altersklassen gewährleisten.“ Vor 15 Jahren noch waren Michael Ballack (23 Jahre) und Sebastian Deisler (20 Jahre) die letzten Talente auf weiter Flur. Nachwuchs, der wirklich weiterhilft? Dieser Saß bei den Vereinen meistens auf der Bank oder wurde in den U23-Mannschaften geparkt. Es waren die Jahre, als Bundesligisten ihre Kader mit – wenn überhaupt – durchschnittlichen ausländischen Akteuren füllten und die eigene Jugend noch stiefmütterlich behandelt wurde. War der Anteil der inländischen Spieler 1995 noch bei 82% angesiedelt, lag er fünf Jahre später – bei der EM der Schande – bemitleidenswerten 60%. Der FC Energie Cottbus beispielsweise lief in diesem Jahr auch erstmals mit einer Mannschaft auf, die ohne deutschen Akteur auskommen musste.

07.07.2015, Testspiel FC Wacker Innsbruck II - Eintracht FrankfurtHeutzutage erscheint es undenkbar, dass ein Team ohne Talente aus dem eigenen Stall aufläuft. In der vergangenen Saison etwa feierte Luca Waldschmidt bei der Eintracht sein Bundesligadebüt. Ferner entwickelten sich Marc Stendera und Sonny Kittel, den dann die schlimme Kreuzbandverletzung aus der Bahn warf, zu Stammspielern. Viele andere Teams setzen ebenfalls regelmäßig auf Akteure, die im eigenen Leistungszentrum entwickelt und zu Profis aufgebaut wurden. War der Jugendbereich vor 15 und mehr Jahren zumeist nur eine Randnotiz wert, sind die Bedingungen inzwischen hochprofessionell. Es wird höchsten Wert darauf gelegt, dass Trainer und Betreuer zumindest Inhaber der DFB-Elite-Jugend-Lizenz sein sollten. Dazu müssen die Zentren mindestens über vier Plätze und eine nahegelegene Halle für die Wintermonate verfügen. Zudem sind für das Nachwuchsleistungszentrum eines Bundesligisten ein Arzt, zwei Physiotherapeuten, ein Reha- und/oder Fitnesstrainer, ein pädagogischer Mitarbeiter und ein psychologischer Mitarbeiter nachzuweisen – und zwar als Mindestanforderung.

Inzwischen aber wird nicht nur auf die Beine, sondern auch auf den Kopf geachtet – und dies nicht nur am dazugehörigen Kopfballpendel: „Der Club wird sich dafür einsetzen, jedem Spieler den für ihn höchstmöglichen Schulabschluss zu ermöglichen und die Vereinbarkeit der schulischen Ausbildung mit der sportlichen Karriere zu fördern.“ Den Höhepunkt dieses Umschwungs erlebte man dann im vergangenen Sommer in Brasilien, als Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Manuel Neuer und Co., wovon viele schon 2009 U21-Europameister wurden, den Weltmeistertitel in den Himmel recken durften. „Die Nachwuchsförderung befindet sich in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau. Das große Engagement der Clubs bei der Unterhaltung der Leistungszentren wird unter anderem dadurch ersichtlich, dass die Mindestvoraussetzungen der sportlichen Kriterien größtenteils sogar freiwillig übererfüllt werden. Der hohe Personaleinsatz sowie Investitionen um 120 Millionen Euro pro Saison sind enorm„, bestätigte Andreas Nagel, DFL-Direktor Spielbetrieb im März bei bundesliga.de.

Es wird also viel Geld investiert, um die Talente zu fördern und auf den Profifußball vorzubereiten. Doch in diesem Sommer erlebten die U-Nationalmannschaft allesamt herbe Enttäuschungen. Die U20 kam in Neuseeland (mit Stendera) nur ins Viertelfinale. Die U21 flog bei der EM in Tschechien blamabel mit 0:5 gegen Portugal aus dem Turnier. Luca Waldschmidt erlebte mit der U19, immerhin als Titelverteidiger, nur einen kurzen Aufenthalt in Griechenland. In der Vorrunde war für die Mannschaft schon wieder Schluss. Und auch die U17 kam bei der EM im Finale gegen Frankreich in Bulgarien mit 1:4 unter die Räder. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert geht mit dem Nachwuchs deshalb hart ins Gericht. Bei Sport-Bild kritisiert der 46jährige: „Wenn ich mir ansehe, was DFB und Liga insgesamt in die Talentförderung investieren, ist das, was unter dem Strich herauskommt, in den letzten Jahren zu wenig.“ Zu nennen seien hier wohl vor allem die defensiven Außenbahnen. Auch schon die WM in Brasilien musste links mit Notverteidiger Benedikt Höwedes bestritten werden. Nach dem Rücktritt von Philipp Lahm, immerhin schon 30 Jahre alt, fehlt es aktuell auch auf der rechten Abwehrseite an internationaler Klasse. Ein Problemfeld, welches schon seit Jahren geöffnet ist und noch immer nicht geschlossen werden konnte.

Seifert bohrt deshalb gnadenlos weiter in der offenen Wunde: „DFB und Liga müssen sich sehr genau ansehen, ob die Ausbildung im Jahr 2015 noch so gut ist, wie sie sein müsste.“ Vor allem die Fehleranalysen nach den enttäuschenden Turnierauftritten missfiel dem DFL-Boss: „Da sind mir einige Antworten zu früh gegeben worden: Dass vielleicht die Individualität fehlt oder wir vielleicht zu viel Wert auf Taktik gelegt haben. Das ist mir zu viel ‚vielleicht‚.“ Dabei kann die Bundesliga im internationalen Vergleich nur erfolgreich bleiben, wenn die Talentförderung optimiert und auf die richtigen Schwerpunkte gesetzt wird. Das Fundament, so zeigten die Erfolge auch in den U-Bereichen in den letzten Jahren, ist gelegt. Jetzt aber, nachdem die Engländer ihren gigantischen TV-Vertrag unterschrieben haben, rückt die Förderung der Talente noch deutlicher in den Mittelpunkt. Seifert fordert daher unmissverständlich von den Bundesligisten: „Wir brauchen die beste Ausbildung der Welt. Weil die mit vergleichsweise wenig finanziellen Mitteln zu realisieren ist und enorm viel bewegen kann.“

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8 Kommentare

  1. Wie es nur so weit kommen konnte bei der vorbildlichen Jugendarbeit von der TSG, VW und co…. Ein Schelm wer böses denkt

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  2. Schon komisch, wenn die Plastikclubs mit Millionen nur so um sich werfen und damit die finanziell schwächeren Clubs dazu zwingen, eher in ausländische Spieler zu investieren, als in Nachwuchsförderung.
    Denn gute junge deutsche Spieler sind für Vereine wie die Eintracht entweder nicht finanzierbar oder wegen der aggressiven Plastikclubs nicht zu halten.
    Und ja, die Eintracht macht das bei Darmstadt, Hessen Kassel etc. auch, aber da seh ich noch einen unterschied, weil hier der regionale Bezug noch gegeben ist und die jungen Spieler nicht aus ihrem Umfeld gerissen werden..

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  3. Die Plastik-Klubs sind das eine. Dass die eigentlich verboten gehören, ist selbstverständlich. Aber was die Bayern machen, schadet dem Deutschen Fußball auch extrem. Wieviele vielversprechende Talente sind schon in der Versenkung verschwunden, weil die Bayern sie etwaigen Konkurrenten weggekauft haben und sie sich dann nicht durchsetzen konnten und nur noch auf Bank oder Tribüne saßen?
    Einfach mal als Beispiel Götze: Eines der größten deutschen Talente und bei Dortmund unumstrittener Stammspieler. Die Bayern verkraften aber nicht, dass sie zwei Jahre in Folge nicht deutscher Meister geworden sind und fangen deswegen an, den Dortmundern ihre besten Spieler wegzukaufen. Egal ob sie die brauchen oder nicht. Zeitweise war Götze dann auch nur ein besserer Back-Up und wenn die Bayern nicht so eine Verletztenmisere gehabt hätten, dann hätte er auch letzte Saison nur eine handvoll Spieler von Anfang an gespielt. Und Rode hätte nicht mal die Chance bekommen, sich zu beweisen. Er hat sich toll entwickelt, viel besser als ich für möglich gehalten hätte, aber glaubt einer wirklich er hätte sich zeigen können, wenn Martinez, Thiago und Schweinsteiger nicht ausgefallen wären?

    Und diese Mentalität kotzt mich einfach auch so richtig an. Ich gönne den Bayern ihren Erfolg, sie haben ihn sich erarbeitet, aber sobald ihnen jemand gefährlich wird, geht es ihnen nicht mehr darum, selbst besser zu werden, sondern dem anderen zu Schaden. Und damit schaden sie dem deutschen Fußball an sich.

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  4. @eldelabeha

    sorry, sehe ich nicht so!

    Bayern ist nur ganz oben in der Nahrungskette. Wir kaufen anderen Vereinen auch die besten Spieler weg! So geht es bis in die Kreisliga…

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  5. Ich kann verstehen wenn Spieler die Nahrungskette hochwandern. Aber bei hoffenheim und bei VW abgesehen vom letzten jahr War das nicht der fall. Auch nur max. Europacup Hoffnungen. .. jung hätte easyJet der nächste mm rv werden können….

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  6. @eldelabeha: Muss dir auch widersprechen. Was du da schreibst erinnert leider ein bisschen an vom Alkoholkonsum getriebenen Unsinn, den Neururer und Thon kürzlich in irgendeiner Sendung auf Sport1 abgelassen haben.
    Das ewige Thema „Bayern kauft Dortmund kaputt, obwohl sie die Spieler nicht brauchen“ ist ja jetzt schon einige Jahre alt.
    Wenn man den Medien glauben schenken mag, wollte Guardiola zum Einstand Neymar. Da die Bayern schlechte Erfahrungen mit Spielern direkt aus Südamerika machten, haben sie Götze geholt. Götze war nicht irgendein Talent, sondern galt als das Talent überhaupt in Deutschland – und wenn man sich anguckt, wie er damals gespielt hat, auch zurecht. ABSOLUT LEGITIM, sich eines der größten Talente Europas zu holen, wenn das auch noch aus dem eigenen Land kommt. Zumal bei der Ablöse man eigentlich nicht mehr von Talent sprechen kann. Wen sollten sie sonst holen? Noch ein paar Spanier? Auch der Lewandowski-Transfer macht absolut Sinn. Der war mit Abstand der beste Stürmer der Bundesliga, kannte sich also in der Liga aus. Welcher Stürmer seiner Klasse wäre sonst für Bayern realistisch gewesen? Zumal er deutlich besser in Guardiolas System passt als z.B ein Mandzukic.
    Also das Geweine der Dortmund-Fans, die aber kein Wort über den Reus-, Sokratis- oder Castro-Transfer verlieren, nervt mich einfach nur. In diesem Fall hat Bayern nicht einfach nur Dortmund geschadet, wie du es sagst, sondern sich den besten jungen deutschen Spieler und den besten Stürmer der Liga geholt.

    Eine andere Sache sind natürlich Spieler wie Kirchhoff, Rode, Petersen, (Kimmich). Oder früher Schlaudraff oder Baumjohann. Hier kann ich die Kritik nachvollziehen, da es eigentlich immer abzusehen ist, dass diese Spieler kaum Chancen haben.

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  7. Ja es ist wirklich auffällig wie schlecht die U Teams wieder abgeschnitten haben. Und auch bei unserer Nationalelf seh ich recht schwarz in den nächsten Jahren. Es muss einen schon wundern, dass Schweden, Serbien und Mali uns aus den Wettbewerben kegeln. Auch Portugal ist normal nicht die Großmacht im Fußball. Da braucht es wieder wie damals Strukturreformen. Ich weiß nicht wie man das einflechten kann aber wie kann es sein, dass ein Verein wie der FC Bayern nur 1-2 Juniioren Nationalspieler in seinen Reihen hat. Insgesamt spielen die mit Ihren Teams ja kaum mehr eine Rolle im Jugendfussball. Die Spieler von anderen Vereinen mit 12-16 Jahren abkaufen gehört ohnehin verboten. Ich denke bei der SGE macht man das auch ohne U23 ganz gut mit der Nachwuchsarbeit – allerdings weiterhin mit viel Luft nach oben. Die „Knappenschmiede“ ist auch ne erfolgreiche Sache muss man sagen. Der VfB Stuttgart war zumindest im Süddeutschen Raum lange das Maß der Dinge im Jugendfussball und inzwischen muss man zugestehen, dass die TSG Hoffenheim hervorragende Arbeit im Bereich Jugendfussball macht (und ich glaube nicht, dass es hier ums Geld geht mit dem man lockt – eher um das ausgereifte Konzept mit vielen Kooperationspartnern, die entsprechenden Anlagen, die Trainer und die Wertschätzung der Sache).

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