"Wir hätten das Stadion auch dreimal füllen können!" Tickets gegen den FC Bayern München waren schon immer heiß begehrt.
„Wir hätten das Stadion auch dreimal füllen können“, sagte Schatzmeister Patella. Tickets gegen den FC Bayern München waren schon immer heiß begehrt.

Regnerisch, ungemütlich, trist – so präsentierte sich der 31. Oktober 1998 den insgesamt 58.300 Menschen, die ins Waldstadion strömten, um beim Spiel des Davids aus Frankfurt gegen den Goliath aus München dabei zu sein. Der bayerische Rekordmeister – angeführt von Trainer Ottmar Hitzfeld – präsentierte sich in den ersten Wochen der Saison als unbezwingbarer Riese. Acht Siege und ein Unentschieden aus den ersten neun Saisonpartien bedeuteten einen Startrekord und waren für viele frühzeitig schon der Beweis dafür, dass die Meisterschale in den Süden der Republik wandern wird. Die Hessen hingegen taten sich nach ihrem Aufstieg schwer, in der Bundesliga wieder Fuß zu fassen. Ein 3:2-Sieg gegen den 1. FC Nürnberg war bislang das einzige Ausrufezeichen, das gesetzt werden konnte. Der Stuhl des Kulttrainers Horst Ehrmanntraut wackelte an diesem 10. Spieltag bereits bedenklich.

Es war damals ein weiterer Akt der unschönen Geschichten vom Riederwald. Bevor die Partie überhaupt angepfiffen wurde, sickerte schon durch, dass im Falle einer Niederlage eine Krisensitzung stattgefunden hätte. „In einer Notsituation würde ich mich der Verantwortung nicht entziehen, wenn das Präsidium so entscheiden sollte„, rückte sich der damalige technische Direktor Gernot Rohr, der Sitz und Stimme im Präsidium hatte, bereits in Position. Angeblich soll sogar schon ein abgesegneter Vorvertrag für Reinhold Fanz vorgelegen haben. Der bei den Fans ungemein beliebte Horst Ehrmantraut konnte darüber nur den Kopf schütteln. Dies sei „total deplatziert. Wenn es tatsächlich so sein sollte, dann wären wir arm dran. Man kann das Wohl und Wehe eines Trainers nicht an einem Spiel gegen die Bayern festmachen. Entweder der Verein bekennt sich zu meiner Arbeit, oder man trennt sich. Entweder sagt er, die Arbeit ist gut, oder die Arbeit ist schlecht.“ Präsident Rolf Heller jedenfalls hätte wohl keine Skrupel gehabt, den Aufstiegscoach nach einer Niederlage gegen die beste deutsche Vereinsmannschaft zu entlassen.

Die Bayern liefen dann auch mit ihrem besten Aufgebot beim damaligen Angstgegner aus Frankfurt auf. Zu präsent war noch die im Herbst 1996 erlittene 1:4 Niederlage im Waldstadion. Oliver Kahn, Mario Basler, Bixente Lizarazu und Co. wollten es besser machen. Zunächst aber wurde Stefan Effenberg, der polarisierende Ex-Mittelfeldstar und heutige Trainer des SC Paderborn, an seine Alkoholfahrt erinnert. 1,07 Promille und Führerscheinentzug – „Prost Effe“ konnte der G-Block darauf nur antworten. Böse Zungen würden wohl auch sagen, dass Effenberg an diesem Tag dementsprechend spielte – pomadig, langsam und ohne jegliche Ideen – es war seine wohl schwächste Partie im Trikot der Münchener – dazu aber gleich noch mehr. Ehrmantraut kümmerte sich weniger um den Gegner, als vielmehr um seine eigene Mannschaft: „Wir dürfen keine Angst zeigen, sondern müssen mit einer gewissen Frechheit ins Spiel gehen. Wir müssen als Team bestehen, jeder muss über sich hinauswachsen, wenn wir eine Chance haben wollen.“

Folgender Elf sprach der Coach dabei sein Vertrauen aus:
Oka Nikolov – Petr Hubtchev – Uwe Bindewald, Alexander Kutschera, Tore Pedersen – Alexander Schur, Ralf Weber – Ansgar Brinkmann, Thomas Sobotzik, Bernd Schneider – Chen Yang.

Der Jubel bei den Spielern war riesengroß nach unerwarteten drei Punkten!
Der Jubel bei den Spielern war nach unerwarteten drei Punkten riesengroß!

Der Respekt vor den großen Bayern war spürbar, die Stimmung im Team aber suboptimal, wie Sobotzik rückblickend bei SGE4EVER.de zugibt: „Allerdings war ich persönlich hochmotiviert und stand in der Schuld von Trainer Ehrmantraut, der mich trotz einer vorangegangenen Rotsperre von fünf Spielen sofort wieder aufgestellt und zuvor keine Geldstrafe ausgesprochen hat.“ Angetrieben vom euphorischen und lautstarken Anhang wuchsen die Hessen an diesem Nachmittag über sich hinaus. Während die Münchener überheblich und lustlos auftraten, fanden die Adler ihre Linie – und wurden bereits in der 32. Minute belohnt: Nach einem Freistoß aus dem rechten Halbfeld von Brinkmann verlängerte der an diesem Tag so bärenstarke Weber per Kopf auf eben jenen hochmotivierten Sobotzik, der den Ball irgendwie über Kahn hinweg ins Tor spitzelte. Das Stadion explodierte nach diesem Treffer und schon jetzt war für jedermann spürbar, dass an diesem Tag eine Sensation im Bereich des Möglichen lag. Schließlich – so witzelte unter anderem auch Bernd Hölzenbein – spielte Effenberg so, „als wäre er heute Morgen um 5 Uhr in eine Polizeikontrolle geraten.“ Trotzdem erhöhten die Stars aus der bayrischen Landeshauptstadt peu á peu den Druck und drängten die Frankfurter in ihre eigene Hälfte.

Aber jeder Spieler warf sich furchtlos in die Zweikämpfe. Vor allem Pedersen, der kurz zuvor erst für 750.000 Deutsche Mark (~380.000 €) von den Blackburn Rovers verpflichtet wurde, wusste zu überzeugen und nahm Basler an die Kette. Doch nach der Gelb-Roten Karte für Sturmtank Carsten Jancker in der 61. Minute schwand bei den Münchenern an diesem Tag der Glaube an einen Dreier. Heute unvorstellbar, dass es mal eine Zeit gab, als die Bayern die Punkte per Post nach Frankfurt hätten schicken können. Der Jubel war dann grenzenlos, als der Schiedsrichter Hans-Jürgen Weber, vom Kicker mit der Note 1 belohnt, abpfiff. „Ehrmantraut! Ehrmantraut!“, hallte es durch das weite Rund. „Der Sieg ist gigantisch schön, aber nicht weil der Gegner Bayern München heißt, sondern wegen der drei Punkte. Spielerisch waren wir nicht gut, taktisch dafür sehr gut und kämpferisch am Limit. Heute hat jeder gesehen, dass hier eine enge Verbindung zwischen Mannschaft und Trainer besteht. Wir sind nicht die Eintracht von vor 10 Jahren. Hier beginnt erst etwas und das möchte ich zu einem guten Ende führen“, schwebte der Coach nach Abpfiff auf einer Wolke der Euphorie.

Siegtorschütze Thomas Sobotzik. Hier im Trikot der Traditionsmannschaft.
Siegtorschütze Thomas Sobotzik. Hier im Trikot der Traditionsmannschaft.

Für den bodenständigen und selten in der Öffentlichkeit auftauchenden Sobotzik ging es direkt danach ins Aktuelle Sportstudio nach Mainz. Der Trubel um seine Person war nach diesem Treffer riesengroß: „Die Bild-Zeitung sah sich berufen, am darauffolgenden Montag einen täglichen Artikel namens ‚Sobo der Bayernkiller‘ zu bringen. Ziemlich viel Trubel wegen eines einzigen Treffers„, erinnert sich der bescheidende Mittelfeldspieler an die Zeit nach diesem überraschenden Sieg zurück. Auch Schur blieb ähnlich bodenständig: „Es ist ein normaler Sieg gegen eine heute sehr schwache Bayern-Mannschaft, den wir nicht überbewerten sollten. Das nächste Spiel in Rostock wird viel schwerer.“ Tatsächlich sollte dieser wichtige Sieg der Beginn einer kleinen Serie sein. In Rostock (2:2), gegen den SC Freiburg (3:1) und beim Hamburger SV (1:0) gab es somit 10 Zähler aus diesen vier Partien. Ehrmantraut konnte den angesägten Stuhl aber auch so nicht mehr reparieren. Nach zwei Niederlagen im Heimspiel gegen den SV Werder Bremen (0:2) und bei Borussia Dortmund (1:3) war dann endgültig Schluss für den gebürtigen Homburger. Der Sieg über die „Rekordbayern“ aber konnte ihm nicht mehr genommen werden. Ob eine ähnliche Sensation am Freitag, fast auf den Tag genau 17 Jahre später, auch wieder möglich ist? Sobotzik optimistisch: „Einen Punkt traue ich der Mannschaft zu, denn unsere Eintracht ist ja bekanntlich berühmt dafür, sowohl für extrem negative aber auch für positive Überraschungen zu sorgen.“

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1 Kommentar

  1. vielleicht in etwas gekuerzter fassung in die kabine haengen!
    `hochmotiviert `,`furchtlos `, bitte herausheben!
    ist ja nicht aue!

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