Änis Ben-Hatira
Änis Ben-Hatira

Aus welchen Charakteren, Temperamenten und Persönlichkeiten soll sich eine Mannschaft zusammensetzen, die auf Dauer erfolgreich sein will? Allerorten – nicht nur bei Eintracht Frankfurt – hören wir Klagen darüber, dass es an Leitwölfen, Führungsspielern oder „verlängerten Armen“ des Trainers fehle, die in der Lage sein sollen, ihrem Team in kritischen Situationen Orientierung und Struktur zu geben. Im Hinblick auf unsere SGE ist dieser Vorwurf sicherlich nicht unberechtigt. Mit Ausnahme von Lukas Hradecky und Marco Russ findet sich kein anderer Spieler, der aufgrund seiner Persönlichkeit für diese Rolle infrage käme. Die einen sind zu leise (Meier, Hasebe, Aigner, Oczipka), noch zu kurz dabei (Abraham, Huszti, Gacinovic, Castaignos), zu oft verletzt (Stendera, Reinartz, Medojevic, Flum, Kittel), umstritten (Chandler, Fabián, Ignjovski) oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt (Zambrano, Seferovic). Und schließlich gibt es noch einen Spieler, an dem sich die Geister scheiden: Änis Ben-Hatira.

Der gebürtige Berliner stieß erst im Februar in einer Nacht- und Nebelaktion zur Eintracht, nachdem es im Mannschaftsbus von Hertha BSC im Anschluss an das Auswärtsspiel bei Werder Bremen zu einem Eklat und einer tätlichen Auseinandersetzung mit Mitchell Weiser gekommen war. Der frühere Bayern-Spieler trug ein Veilchen davon, während Ben-Hatiras Berater Roger Wittmann in größter Eile bemüht war, für seinen Schützling unmittelbar vor Transferschluss einen neuen Verein zu finden. Eintracht-Sportdirektor Bruno Hübner schlug zu und bot Ben-Hatira einen Fünf-Monats-Kontrakt zu einem offenbar bundesligaunüblichem Tarif an (das kolportierte Monatseinkommen – ohne Prämien – soll sich auf einen Betrag zwischen 6.000 und 10.000 Euro belaufen).

Seitdem bestritt Ben-Hatira elf Pflichtspiele für die SGE, zeigte dabei überwiegend schwache oder unauffällige Leistungen, wurde aber in zwei sehr wichtigen Partien – gegen Hannover 96 und den FSV Mainz 05 – mit einem Tor und zwei Assists jeweils zum Matchwinner. Trotz der allenfalls durchwachsenen Bilanz ist der Hinweis, dass die Eintracht ohne die Verpflichtung von Ben-Hatira wahrscheinlich abgestiegen wäre, nicht von der Hand zu weisen. In den Medien wird seitdem darüber spekuliert, ob der tunesische Nationalspieler auch in der kommenden Saison bei Eintracht Frankfurt spielen wird. Während die Sport-Bild und die FR davon ausgehen, dass es zu einer Trennung kommen werde, hat Bruno Hübner sich bislang bedeckt gehalten und weitere Gespräche angekündigt.

Wer ist dieser Ben-Hatira? Warum polarisiert er die Anhängerschaft, Verantwortlichen und Mitspieler? Warum gelingt es ihm nicht, das in ihm schlummernde Potenzial dauerhaft auszuschöpfen? Schauen wir uns seinen Werdegang einmal genauer an.

Trainer Niko Kovac und Änis Ben-Hatira nach dem Sieg gegen den BVB
Trainer Niko Kovac und Änis Ben-Hatira nach dem Sieg gegen den BVB

Während in den modernen Fußball-Leistungszentren Deutschlands junge Nachwuchskräfte eine ganzheitliche Ausbildung erfahren, bei der großen Wert auf die Entwicklung der Persönlichkeit, Bildung und Umgangsformen gelegt wird, gilt in Berlin eine Sozialisation in den Parallelgesellschaften des Wedding immer noch als untrügliches Qualitätsmerkmal. Spätestens seitdem die Brüder Boateng, Ashkan Dejagah oder Chinedu Ede immer wieder ihre gemeinsame Herkunft aus dem Berliner Norden und ihre fußballerische Ausbildung als Straßenfußballer in den Weddinger Käfigen betonen, gilt es als schick, sich aus einfachen Verhältnissen in den Profifußball herausgekämpft zu haben. Dabei ist der Mythos vom bildungsfernen Kind mit Migrationshintergrund, das trotz oder aufgrund des täglichen Kampfes um Anerkennung den Durchbruch schaffte, nur ein Teil der Wahrheit. Denn Änis Ben-Hatira hat fußballerisch sehr früh eine gute Ausbildung genossen. Mit gerade einmal vier Jahren begann er beim BSC Reinickendorf zu kicken, mit acht Jahren wechselte er zu dem bekannten und anerkannten Ausbildungsverein Reinickendorfer Füchse, nachdem deren Jugendtrainer gesehen hatten, dass er an der Seitenlinie stand und eine Halbzeit lang ohne Pause den Ball hochgehalten und jongliert hatte. Mit elf Jahren zog er erstmals das Trikot von Hertha BSC über und spielte dort bis zur B-Jugend. Dann wurde Ben-Hatira erstmals sein Temperament zum Verhängnis („Wir haben nicht zu allem Ja und Amen gesagt und sind auch mal angeeckt“). In einem Interview mit der Berliner Zeitung fasste er seinen Abgang wie folgt zusammen: „Es gab dann ein paar Probleme, und Hertha sperrte mich lange. Ich habe damals jämmerlich geweint und bin zu Tennis Borussia gewechselt.“

Der vermeintliche Karriereknick konnte vermieden werden, da der Hamburger SV im Jahre 2006 auf den 18-Jährigen aufmerksam wurde und ihn verpflichtete. Am 24. Februar 2007 bestritt Ben-Hatira sein erstes Bundesligaspiel – gegen Eintracht Frankfurt, als er eine Viertelstunde vor Schluss für Mehdi Mahdavikia – eine der vielen Frankfurter Transfer-Flops der letzten Jahre – eingewechselt wurde. Er wurde deutscher U-19-Nationalspieler, nahm an der U19-Europameisterschaft 2007 teil und gehörte dem Team um Manuel Neuer, Mesut Özil und Mats Hummels an, das 2009 die U21-Europameisterschaft gewann. Bis 2011 blieb er – nur unterbrochen von einer Ausleihe zum MSV Duisburg – beim HSV, bevor er zu Hertha BSC zurückkehrte. In viereinhalb Jahren bei den Berlinern kam er auf 70 Spiele (14 Tore), wobei sich kleinere und größere Verletzungen, großartige Partien und unauffällige Darbietungen abwechselten. Aufsehenerregende Schlagzeilen produzierte Ben-Hatira zumeist außerhalb des Platzes, da die Berliner Boulevardblätter alle Auseinandersetzungen mit Freundinnen und Konflikte mit der Polizei minutiös dokumentierten.

Unter Trainer Pal Dardai fand die Beziehung zwischen Ben-Hatira und Hertha BSC schließlich ein unrühmliches Ende. Während der Profi der Auffassung war, ihm müsse in der Mannschaft eine Führungsrolle zukommen, verwies sein Coach darauf, dass sein Schützling seit 2011 verletzungsbedingt pro Saison gerade einmal die Hälfte der Pflichtspiele bestritten und seine unbestritten großen Fähigkeiten niemals ausgeschöpft habe. Das Tischtuch zwischen Spieler und Trainer war endgültig durchschnitten, als Ben-Hatira im April 2015 trotz der Bitte von Dardai, nicht zur tunesischen Nationalelf zu reisen, trotzdem fuhr und verletzt zurückkehrte. Zuletzt kam er nur noch in der Regionalligamannschaft der „alten Dame“ zum Einsatz.

Dieses Bild im Snapchat-Profil von Ben-Hatira sorgte für Aufregung (Bild: Screenshot Snapchat)
Dieses Bild im Snapchat-Profil von Ben-Hatira sorgte für Aufregung (Bild: Screenshot Snapchat)

Auch wenn sich Ben-Hatira immer wieder gegen den Vorwurf wehrt, der „bad boy“ zu sein, hat er lange an diesem Etikett gearbeitet und sein Image kultiviert. Während die Berliner Fans seine unangepasste, offene und direkte Art schätzten, wurde von Seiten der Verantwortlichen des Vereins seine fehlende soziale Kompetenz und Teamfähigkeit kritisiert. Wir können nicht beurteilen, inwiefern dieser Vorwurf gerechtfertigt ist, aber auch in Frankfurt werden diese Aspekte – beispielsweise von der FR – als Gründe für ein mögliches Ende der Zusammenarbeit angeführt. Unvergesslich wird allen Eintracht-Fans sein sinnfreies Posting eines Snapchat-Fotos mit Ampullen, Spritzen und Kanülen bleiben, das nicht nur die Anti-Doping-Agentur auf den Plan rief, sondern auch bei allen Verantwortlichen der Eintracht Panikattacken auslöste.

Für Ben-Hatira würde ein Abschied aus Frankfurt bedeuten, dass er wieder einmal einen Neuanfang wagen müsste. Eine Rückkehr nach Berlin scheint aussichtslos; bei jedem anderen Verein müsste er gegen seine Ruf, sein immer wieder erkennbares Phlegma und seine Leistungsschwankungen ankämpfen. Dabei verkörpert er im Grunde das Spielerprofil, was die Eintracht für die kommende Saison sucht: Er ist schnell, technisch beschlagen, flexibel einsetzbar und ein Mann für besondere Momente – wir erinnern uns allzu gerne an sein Tor gegen Hannover, das wohl kaum ein anderer in der Mannschaft aus so spitzem Winkel über die Linie gezirkelt hätte. Allerdings durften wir – siehe oben – auch schon den anderen Ben-Hatira kennenlernen. Letztendlich wird Trainer Niko Kovac eine Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen einer Weiterbeschäftigung unter Berücksichtigung der Stärken und Schwächen unserer Nummer 32 treffen. Es wäre ihm zu wünschen, dass er endlich eine dauerhafte sportliche Heimat findet und er künftig einzig auf sportlichem Gebiet Schlagzeilen macht.

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13 Kommentare

  1. „…müsste er gegen seine Ruf, sein immer wieder erkennbares Phlegma und seine Leistungsschwankungen ankämpfen.“ Dazu kommt noch, das er am Ball den Kopf unten hat und den eigenen besser postierten Mitspieler nicht sieht. Auch Pässe kommen bei ihm oft nicht an. Alles in allem würde ich ihm keinen Vertrag geben.

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  2. Das Problem ist, dass wir größere Baustellen haben und wir nicht all zu viel Geld haben um noch weitere Baustellen bearbeiten zu können. Somit würde ich Änis ein weiteres Jahr behalten und uns speziell um die Abwehr kümmern, dass wir da endlich mal ordentlich aufgestellt sind. Im kommenden Jahr dann neue Baustellen bearbeiten. Alles nacheinander.

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  3. Aber brauchen wir ihn, damit es keine Baustelle gibt? Wir haben Gacinovic und Kittel, die beide links können. Aigner und Waldschmidt dazu. FÜr die Außen sieht das gut aus. Und Ben Hatira kostet keine Ablöse, aber der will besser verdienen. Hat er ja schon angekündigt.

    Bei dem Schwerpunkt zuerst auf der Abwehr ( außen, ) da gebe ich dir recht

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  4. Kittel hat überhaupt keinen Spielrhythmus. Waldschmidt auch net. Hab schon lange kein gutes Spiel mehr von ihm gesehen. Gacinovic, Waldschmidt und auch Kittel spielen sehr unkonstant. Und da wäre ein BenHatira, der im Trainer Druck macht, immer gut. Sollte er also bezahlbar bleiben, ohne das wir Abstriche machen müssen, so würde ich ihn gerne noch ein Jahr behalten. Denn VERSCHENKEN wäre Unsinn. Ansich bin ich von keinen der genannten wirklich angetan. Talent haben sie alle. Nur spielen sie allesamt zu unkonstant. Die Frage ist, wem der Trainer vertraut und quasi als Stamm sieht. Denke da hat Gacinovic derzeit die besten Chancen.

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  5. Wie Ralf schreibt, er ist das, was die Eintracht sucht: schnell, technisch beschlagen, flexibel einsetzbar. Ich würde ihm einen Vertrag geben uns sei es nur um einen auf mehreren Positionen einsetzbaren Einwechselspieler zu haben.

    Unserem Trainergespann traue ich außerdem zu, jeden Spieler zu verbessern.

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  6. Als „billiger“ Backup für aufzubauenden Gacinovic könnte er bleiben. Dabei wollen wir nicht vergessen, dass wir den Kader nicht unnötig aufblähen wollen. Da man aber auf Kittel nicht wirklich bauen kann, wäre diese Entscheidung für 1 Jahr wohl nicht gar so verkehrt. Fragen wir doch einfach mal den Fredi …

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  7. Ohne Ben Hatiras Snapchat Bild wären nicht vermehrt Dopingkontrollen bei der Eintracht durchgeführt worden und dann hätte man den Tumor von Russ erst viel später entdeckt von daher kann man ihm da sehr dankbar sein

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  8. Kovac kommt wie ABH aus Wedding. Das heisst, dass er mit ihm als Typen umgehen kann. Ob er ihn spielerisch verbessern kann? Aber einen Versuch ist es wert. Er ist ein Beisser und hat im 1:1 schon ein paar schöne Sachen gezeigt.

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  9. Definitiv einer der bester Transfers der jüngeren Vergangenheit. Für ein (im Profifußball) mickriges Gehalt jemanden geholt, der recht verlässlich seine Leistung gebracht hat und mit seinen drei Toren maßgeblich zu unserem Klassenerhalt beigetragen hat.
    Trotzdem ist er weder von seiner Art zu spielen noch von seiner Persönlichkeit ein Spieler, dem eine wichtige Rolle bei uns zukommen sollte. Selbstverständlich will er mehr Geld haben und das hat er sich auch verdient, aber die Tatsache, dass er bei uns eben dieses Gehalt vor einem halben Jahr angenommen hat, zeigt, dass es wohl nicht viele Vereine gab, die ihn überhaupt haben wollten. Ob seine Leistungen bei uns so gut waren, dass sich das nun verändert hat?
    Die Tore 2 und 3 waren Glückstreffer und abgesehen von seinen Toren hat er zwar gekämpft aber nicht wirklich auf sich aufmerksam gemacht. Ich würde ihm ein Gehalt im mittleren 6-stelligen Bereich anbieten – so um die 500.000. Wenn er damit zufrieden ist, hätten wir einen flexibel einsetzbaren Back-Up, den man immer bringen kann. Ist ihm das zu wenig, soll er schauen, ob er woanders mehr verdient, oder sich nochmal die zweite Liga antut, um regelmäßig zu spielen und dann vielleicht in ein oder zwei Jahren nochmal einen besseren Vertrag zu bekommen. Kann mit beiden Varianten leben.

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  10. Ich bin froh, dass Ben-Hatira dabei war und durch seinen Einsatz und Tore uns in der Liga gehalten hat. Ich bin zuversichtlich, dass Kovac jetzt richtige Entscheidung trifft. Es wäre schön, wenn Ben-Hatira sich stabilisieren kann und sich eine neue sportliche Heimat beu der Eintracht aufbaut.

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