17.07.2015, Fussball, 1. BL, Training Eintracht FrankfurtEs gehört zu den Binsenweisheiten des Fußballgeschäfts, dass man ein System nur dann einüben sollte, wenn einem Trainer auch die passenden Spieler zur Verfügung stehen. Armin Veh, der alte und neue Übungsleiter der Hessen, praktizierte in seinen drei ersten Jahren bei den Hessen in aller Regel ein 4-2-3-1-System mit zwei defensiven Mittelfeldspielern hinter der Viererkette (Schwegler, Rode oder Flum), drei offensiven Mittelfeldkräften (in der Regel Inui, Meier und Aigner) und einem Stürmer (Kadlec oder Joselu). Nach dem Abschied von Veh im Sommer 2014 hieß es nicht nur Abschiednehmen von dem liebgewonnenen Trainer, sondern auch von dem vertrauten Spielsystem. 

Statt dem durchaus erfolgreichen und vor allem ansehlichen Kurzpass-Spiel unter Veh präferierte sein Nachfolger Thomas Schaaf eine schnelle Überbrückung des Mittelfeldes und nahm dabei lange, hohe Bällen billigend in Kauf. Dabei behielt er anfangs das 4-2-3-1-System bei, auch wenn entscheidende Erfolgsgaranten unter Veh (v.a. Schwegler, Rode) nicht mehr dabei waren und auf der zweiten Sechserposition neben Hasebe keine überzeugende Lösung gefunden wurde. Die Spieler fühlten sich in dieser Formation sichtlich unwohl, in der Zentrale taten sich immer wieder Lücken auf und die Treffsicherheit von Alex Meier konnte die Anfälligkeit der Defensive nicht mehr kompensieren. Nach dem 11. Spieltag und der 0:4-Heimniederlage gegen Bayern München reagierte Schaaf und ging zu der von ihm seit Bremer Zeiten favorisierten Raute über. Hasebe bildete die einzige Sechs, Meier rückte neben Seferovic in den Sturm und Stendera besetzte die Position hinter den Spitzen.

ReinartzMit Schaafs Abschied und Vehs Rückkehr an den Main im Sommer 2015 schien die Raute der Vergangenheit anzugehören und das Comeback des 4-2-3-1 nur eine Frage der Zeit. Während allerdings die Verpflichtung eines linken Offensivmannes nach wie vor auf sich warten lässt, wurde mit Luc Castaignos ein Stürmer unter Vertrag genommen, der im Training und bei seinen ersten Auftritten im Adlertrikot mit Torgefährlichkeit und physischer Präsenz sofort zu überzeugen wusste. Möglicherweise war es diese Option in der Offensive, die den Trainer mit einem Systemwechsel liebäugeln lässt: „Wir testen das flache 4-4-2„, sagte Veh gegenüber hr-sport. „Mit zwei echten Spitzen sind wir vielleicht torgefährlicher, das kann unser bestes System werden.

Die flache Raute ist im Prinzip eine zweite Viererkette vor dem Abwehrverbund. Sie erfordert viel taktische Disziplin und Flexibilität der agierenden Spieler. Deshalb ist jetzt in Windischgarsten der richtige Zeitpunkt, um neue Spielelemente einüben zu können. „Wir brauchen die Vorbereitung, um Dinge testen zu können,“ so Veh. Aber ist die „flache Raute“ die taktische Ausrichtung, die zur SGE passt, und welche Spieler stehen dem Trainerteam hierfür zur Verfügung?

Der neue Chef im Frankfurter Mittelfeld – und damit mit einiger Verspätung ein Nachfolger für Pirmin Schwegler – scheint gefunden: Stefan Reinartz hat in den ersten Trainingswochen Eindruck bei seinen Vorgesetzten hinterlassen: „Er ist zweikampfstark, ballsicher und torgefährlich,“ so Veh und legt sich fest: „Er ist für mich auf der Sechs gesetzt.“ Die zweite Sechserposition schien mit Makoto Hasebe ursprünglich vergeben zu sein. Nun aber wird der flexibel einsetzbare Japaner auf der rechten Außenverteidigerposition gehandelt, was Marco Russ einen Platz im Mittelfeld sichern könnte, falls er nicht in der Innenverteidigung gebraucht wird. Auf den Flügeln dürfte an Aigner und (derzeit) Inui kein Weg vorbei führen, sodass eine Mannschaft im 4-4-2-System schon deutliche Konturen hätte. Aber kann die Eintracht auf die Spielintelligenz und die Übersicht eines Marc Stendera verzichten? Würde man Stefan Aigner nicht seiner Stärken berauben, wenn man ihn in einem System mit zwei Stürmern dazu verpflichten müsste, an der Außenseite zu kleben? Und überhaupt: Was wäre mit Alex Meier, wenn er wieder fit ist?

SchurZweifel sind angebracht, ob der Übergang zu einem System mit zwei Stürmern eine feste Dauerlösung sein wird. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich Armin Veh bemüht, die SGE flexibler einzustellen, den Überraschungseffekt zu erhöhen und die Mannschaft für den Gegner weniger berechenbar zu machen, als es noch in der Ära Schaaf der Fall war. In der vergangenen Saison wurde nicht selten kritisiert, dass es dem Team während einer Begegnung nicht gelingen wolle, sich auf taktische Änderungen des Gegners einzustellen. An dieser Reaktionsfähigkeit scheinen Trainer und Mannschaft derzeit zu feilen.

Da die Unterschiede zwischen einer echten und einer flachen Raute nicht so groß sind und die Umstellung von einem 4-2-3-1 zu einem 4-4-2 innerhalb eines Spiels für intelligente und darin geübte Spieler auch keine unüberwindliche Hürde darstellen dürfte, sollte man vorsichtig sein, jetzt schon von einem Systemwechsel zu sprechen. Viel entscheidender ist wohl die Umsetzung der Vehschen Spielphilosophie, an der die Mannschaft derzeit arbeitet: laufintensives Kurzpass-Spiel mit hohem Ballbesitz, aggressives Pressing und agieren statt reagieren. Eine Spielidee, die – um es auf einen Nenner zu bringen – eher an Bayern München als an Werder Bremen erinnert.

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8 Kommentare

  1. Es sollte immer das System bevorzugt werden, für welches das passende Spielermaterial vorhanden ist.
    Stand heute, sollte für Links keiner mehr verpflichtet werden, fände ich ein 4-4-2 mit Raute nicht schlecht.

    ———————————–X——————————
    Chandler———Zambrano——Abraham—–Ozcipka
    ———————————–Reinartz———————-
    ———————Aigner——————-Hasebe———-
    ——————————–Stendera————————
    —————–Seferovic—————–Castaignos——-

    Damit hätte man ein kompaktes, lauf- sowie kampfstarkes Mittelfeld. Stendera wäre nach hinten abgesichert und könnte sich im wesentlichen darauf konzentrieren die Spitzen einzusetzen.
    Kommt Meier zurück, konkurriert er mit den beiden Spitzen sowie mit dem OM.

    Sollte noch ein fähiger LA verpflichtet werden, könnte die SGE auch auf ihr altbewährtes 4-2-3-1 zurückgreifen.

    —————————————-X————————————
    Chandler————–Zambrano—-Abraham——–Ozcipka
    ————————–Reinartz——–Hasebe———————
    Aigner——————————-Stendera——————–X
    ————————————–Seferovic————————-

    Laut Hübner soll noch jemand für LA kommen, mal schauen, wen er auf dem Schirm hat. Aber in Summe sieht das alles für kommende Saison gar nicht schlecht aus. Kommendes Jahr noch ein guter RV und dann passt das.

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  2. Veh leidet doch am Beckenbauer-Syndrom 🙂 D. h. was heute unabdingbar und in Stein gemeißelt kann morgen schon eine 100 % Kehrtwendung erhalten frei nach dem Motto „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“? Und das ist auch gut so! Welches System das richtige ist wird sich erst im Ernstfall zeigen und zwar auch deshalb, weil man dann weiß welche Spieler überhaupt in Form sind. von daher ist es natürlich gut und eigentlich sollte es selbstverständlich sein, wenn man mehrere Systeme beherrscht. Das gilt auch für den Trainer, denn er muss auch in einem Spiel in der Lage sein, eine Systemumstellung zu vollziehen. Das flache 4-4-2 macht mir Hoffnung auf eine attraktive Spielweise, ob es das Richtige sein wird, stellt sich erst heraus.

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  3. @1: Da Abraham ja so schnell sein soll finde ich Deine Raute nicht uninteressant. Von mir leicht modifiziert 🙂

    ———————————–Lindner——————————
    neuer RV———Zambrano——Abraham—–Ozcipka
    ———————————–Reinartz———————-
    ———————Aigner——————-Hasebe———-
    ——————————–Stendera (Meier wenn fit)————————
    —————–Seferovic—————–Castaignos——-

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  4. Ich weiß nicht, ich kann mich mit der flauchen Raute irgendwie nicht anfreunden. Fand diese unter Veh mit Flum oder Russ auf LM (LA ist es ja dann nicht mehr) schon nicht gut, da war die linke Seite immer grottenschlecht in dieser Formation. Und genauso wenig kann ich mir das mit Hasebe vorstellen. Da haben wir dann theoretisch links einen LDM und rechts einen RA, da passt für mich das Verhältnis nicht richtig. Wenn beide nach hinten arbeiten sollen, dann wird Aigner seine Gefährlichkeit vor dem Tor verlieren, weil er da dann seltener auftritt.
    Wenn wir unbedingt mit der flauchen Raute spielen sollten, würde ich Hasebe auf RV stellen und Inui o. Kadlec ins linke MF. Aber am besten gefällt mir nach wie vor, folgende Variante:

    Linder
    Hasebe/Chandler – Zambrano – Abraham – Oczipka
    Reinartz – Stendera/Gerezgiher/Hasebe
    Aigner – Inui/Kadlec
    Seferovic – Castaignos

    So kann der DM, egal ob Stendera, Gerezgiher oder Hasebe das Spiel von der 6 ,je nach Spielverlauf auch als 8er, lenken und gestalten und wir haben durch die beiden Spitzen trotzdem richtig wucht vorne drin. Zudem mit Aigner und Inui o. Kadlec zwei pfeilschnelle Außen, die vornehmlich nach vorne (aber nicht nur nach vorne) arbeiten können, da die beiden 6er hinten mehr absichern können.

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  5. @Grantler,
    Schauen wir mal wie es kommt, hätte auch sehr gerne einen neuen RV, vielleicht kommt Jung ja doch zurück 🙂

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  6. das gute ist doch, daß man mit den vielen technisch beschlagenen Spielern verschiedene Systeme spielen kann, je nach gegner kann man variieren, man ist dann nicht so leicht ausrechenbar.
    Zuhause gegen Mannschaften aus der zweiten Tabellenhälfte kann man mit einer 6 und 2 Stürmern spielen, Auswärts und gegen Topmannschaften dann vielleicht eher zwei 6er, aber dieser Kader läßt jede Menge Möglichkeiten offen.

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