FansWenn man sich die Entwicklung von Eintracht Frankfurt in den letzten Jahren anschaut, geraten neben vielen positiven Entwicklungen zwei Bereiche ins Blickfeld, bei denen Verbesserungspotenzial besteht: die Nachwuchsförderung und das Scouting. Seit Oktober 2014 ist Bernd Legien der Chef-Scout bei der SGE. In einem Interview mit der FAZ erläuterte er seine Aufgaben, seine Arbeitsweise und betonte die enge Verbindung von Scouting und Nachwuchsarbeit.

Karl-Heinz „Charly“ Körbel erzählt gerne die Anekdote, dass er – nachdem er vor 14 Jahren nach unglücklichen Trainerstationen als Scout zur Eintracht zurückgekehrt war – als Arbeitsmaterial nur das „kicker-Sonderheft“ vorfand. Zwischenzeitlich hat sich natürlich viel geändert, aber Zufriedenheit über die Talentsuche wollte bei der Anhängerschar der SGE in den letzten Jahren nicht aufkommen. Zu viele Fehlgriffe hat sich die sportliche Leitung in der jüngeren Vergangenheit geleistet: entweder stand das Leistungsvermögen in keinem Verhältnis zu den Investitionen oder die Mentalität des Spielers korrespondierte nicht mit dem Profigeschäft – in manchen Fällen kam beides zusammen. Caio, Martin Fenin, Olivier Occean, Rob Friend, Ümit Korkmaz und Habib Bellaid sind nur einige Namen, die Eintracht-Fans beim Stichwort „Fehleinkäufe“ sofort einfallen.

Als der 43-jährige Bernd Legien im Oktober 2014 seinen Dienst antrat – wir berichteten -, fand er „langjährige Eintrachtler“ vor, die zwar sehr engagiert waren, aber ihre Arbeit weitgehend ohne Struktur verrichteten: „In welche Richtung es gehen sollte, war früher wohl nicht immer eindeutig.“ Das hat sich mittlerweile aber geändert: „Jetzt läuft es so, wie Scouting aus meiner Sicht funktionieren soll.“ Legien ist Leiter eines Teams aus sieben Mitarbeitern – mit Großkonkurrenten wie Bayern München oder RB Leipzig können die Hessen nicht mithalten, aber im Vergleich zu anderen Vereinen sei das eine „ordentliche Anzahl an Kollegen“. Entscheidend ist aber ohnehin etwas anderes: die Einstellung: „Wir haben die Mentalität ein Stück weit geändert: Wir warten nicht ab. Agieren statt reagieren ist die Devise. So sind wir jederzeit handlungsfähig.“

02.04.2014, FIFA WM Pokal im Eintracht-MuseumLegien war von 2002 bis 2009 beim HSV tätig und wurde von seinem ehemaligen Studienkollegen Dietmar Beiersdorf zu den Hanseaten geholt. Zuletzt war er beim Zweitliga-Tabellenführer FC Ingolstadt tätig und wurde von diesen mit größten Lobeshymnen verabschiedet. Interessant war zu beobachten, wie die Zusammenarbeit mit Bernd Hölzenbein funktionieren würde. „Holz“, die Eintracht-Legende, war lange Jahre alleine für das Scouting verantwortlich. Seine Arbeit wurde von vielen innerhalb und außerhalb des Vereins äußerst kritisch gesehen. Legien verhält sich ganz diplomatisch: „Ich wäre ja schlecht beraten, wenn ich Bernd Hölzenbein mit seiner großen Erfahrung nicht nach seiner Meinung fragen würde. Ich will hier nicht mit der Dampfwalze durchfahren und alles neu machen. Ich will die Dinge im positiven Sinne verändern.“

Wie können wir uns modernes Scouting aber konkret vorstellen? „Scouting besteht aus unterschiedlichen Aspekten: Es gibt welches für die erste Mannschaft und für den Nachwuchs, dazu Gegner- und Videoanalysen.“ Die verschiedenen Beobachtungslinien dürfen aber nicht nebeneinander ablaufen, müssen vielmehr gesteuert und koordiniert werden. Im Mittelpunkt stehe der Suchauftrag, das spezielle Interesse des Trainers. Legien nennt ein Beispiel: „Der Coach sagt, er möchte einen rechten Verteidiger. Dann haben wir mehrere Kriterien, die wir berücksichtigen: Altersstruktur, Preiskategorien, Leistungsniveau sowie die Mentalität. Wir suchen aber nicht nur nach speziellen Anforderungsprofilen. Und wir haben nicht nur den deutschen Raum, unseren Kernbereich, im Blick, sondern auch das Ausland.“ So hat die Eintracht beispielsweise jetzt jemanden, der ausschließlich den belgischen Markt beobachtet. Der Aufbau eines solchen Netzwerkes erfolgt zusammen mit Trainer Thomas Schaaf und Sportdirektor Bruno Hübner. Zusammen werden interessante Märkte priorisiert und überteuerte Regionen (z.B. Spanien) weitgehend vernachlässigt. Darüber hinaus wollen alle drei gemeinsam „moderiert und organisiert“ die Talentsichtung im Nachwuchsbereich in die Hand nehmen.

Die Kooperation mit dem Leistungszentrum am Riederwald hat für Legien hohe Priorität: „Wir stimmen uns eng ab, es gibt mehr und mehr gemeinsame Termine. Ein 16-Jähriger, der uns in der Hessenauswahl auffällt, ist künftig in unserer Datenbank drin. Dann lässt sich sein Weg verfolgen, und wir wissen, wenn er 18 oder 19 ist, ob er womöglich ein passender Kandidat für unsere Profis wäre. Wir werden bei der Eintracht an einem Strang ziehen.“ Allerdings ist im Nachwuchsbereich vor allem Geduld gefragt: „Es dauert drei bis fünf Jahre, bis die ersten großen Talente aus der Jugend herauskommen.“

25.09.2014, Fussball, 1. BL, Training & PK Eintracht FrankfurtAuch die Zusammenarbeit mit dem Trainer und Sportdirektor  ist eng und langfristig ausgerichtet: „Wir planen 365 Tage im Jahr. Die sportliche Leitung und ich tauschen uns wöchentlich aus, klären sämtliche Fragen zu allen relevanten Personen und Positionen.“ Mit Schaaf diskutiert Legien über bestimmte Spieler auf bestimmten Positionen mit einem bestimmten Anforderungsprofil: „So sehe ich das Scouting: Ich finde Spieler, die für uns in Frage kommen: auf allen Positionen und zu jedem Zeitpunkt.“

Eine besondere Priorität legt der Chef-Scout auf Talente aus der Region: „In Frankfurt, der Rhein-Main-Region und Hessen sollten wir alle Spieler kennen und einschätzen können. Wenn sie dann nicht genommen werden, ist es ein Beschluss, der dann nichts mit dem Scouting zu tun hat, sondern den Vorstand, Management und Trainer verantworten.“ In der Vergangenheit wurde die Eintracht oft dafür gescholten, dass besonders talentierte Spieler aus der Region wie zum Beispiel André Hahn zu anderen Vereinen wechselten. Interessant ist, dass Legien im Falle von Hahn die Kritik nicht teilen kann: „Den haben wir während meiner Zeit beim HSV weggeschickt, weil wir uns sicher waren, der packt es nicht! Bei ihm war es letztlich keine Frage des Talents, sondern der Mentalität. Hahn hat sich gegen alle Erwartungen im zweiten Anlauf durchgebissen.“

Was muss man als Scout mitbringen? Neben Fachkenntnis, guten Kontakten und Teamfähigkeit wohl in erster Linie: Verschwiegenheit. Weder auf der Tribüne noch auf dem Fußballplatz und schon gar nicht in Interviews lässt sich Legien den aktuellen Stand möglicher Neuverpflichtungen entlocken. Auf die Frage, ob er denn schon einen Transfer vorbereitet habe, antwortet er deshalb lachend auch nur mit einem vieldeutigen „Vielleicht„.

 

 

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10 Kommentare

  1. Super Ralf. Du hast einen erstklassigen Beitrag daraus gemacht. Einfach spitze wie ihr arbeitet. Großes Lob an die Redaktion!! Ein wunderbarer Bericht von Dir, Ralf, wie die Eintracht heute im Scouting arbeitet…einwandfrei dargestellt und geschrieben.

    Das die Scoutingabteilung professioneller arbeiten muss ist ein offenes Geheimnis, wenn ich lese das Holz am Anfang des Scoutens nur eine Ausgabe des Kickers – Sonderheft hatte, ist mir vieles klar. Die Strukturen die der Bericht darlegt macht Hoffnung und Mut für die Zukunft. Ich denke, dass Legien sein Handwerk versteht, sicherlich hätte ihn sonst die Eintracht nicht geholt. Scheinbar hat er auch sehr gute Arbeit in Ingolstadt gemacht. Ist zu hoffen, dass es schon ein paar reife Früchte für die neue Saison gibt.

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  2. Scounting ist gut, solange die Jugend eine Perspektive bei der Eintracht sieht. Nicht das wir ein Ausbildungsverein für andere Vereine werden. Das wäre nicht so schön.

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  3. scouting ist dafür da talentierte spieler zu uns zu lotsen, die uns evtl weiterbringen und ihren wert und leistungsfähigkeit vlt auch noch steigern können.
    zb. rode, seferovic usw. jugendarbeit hängt damit zusammen. aber es ist leider jetzt schon so, dass uns andere vereine (in der jüngeren vergangenheit der bvb, hoffe und brause) die besten aus den jahrgängen wegschnappen. ich nehme an, dass es da nicht nur um einen kunstrasenplatz geht 😉
    aber freut mich zu hören, dass was passiert, das gute arbeit gemacht wird (die sich irgendwann vlt auch auszahlt) und was man nicht vergessen darf ist nunmal einfach, dass nicht aus jedem was werden kann oder das man sich auch täuschen kann….(siehe beispiel oben, hahn). jedenfalls deckt sich das auch mit meinen kenntnissen darüber, dass wir im moment in belgien unterwegs sind.übrigens ein schöner beitrag!

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  4. Für mich war der HSV in der Zeit von Legien aber nicht gerade bekannt dafür, Talente gesichtet, an den Kader herangeführt (und evtl. groß veräußert) zu haben.
    Auch macht mich stutzig, warum FCI bzw. Audi ihn ziehen gelassen hat, wenn er doch so super gearbeitet hat.

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  5. Ich halte sehr viel von Legien. Der hat bei Ingolstadt echt super Arbeit geleistet und mit unglaublich wenig finanziellem Aufwand eine Mannschaft geformt, die sehr souverän als Tabellenführer Richtung erste Bundesliga unterwegs ist. Holz hat zu seiner Anfangszeit das Scouting hier modernisiert, weil es davor (nicht nur hier) kaum professionelles Scouting gab. Aber er ist meines Erachtens einfach nicht mehr auf der Höhe der Zeit und da haben wir mit Legien jetzt einen der kompetentesten Männer.
    Und was auch gerade für eine Mannschaft wie uns wichtig ist, er kennt die zweite Liga aus dem effeff. Es gibt wirklich eine Reihe interessanter junger Spieler in der zweiten BuLi, die für uns interessant sein könnten. Und auch was er in dem Interview sagt, bestätigt meinen Eindruck. Zwischen den Zeilen kann man eigentlich deutlich heraushören, dass es schon eine klare Liste gibt, die Hübner auch bereits abarbeiten wird. Trotzdem darf man bei alldem nicht vergessen, dass Legien nicht entscheidet, wer geholt wird und wer nicht. In letzter Instanz wird das immer der Trainer sein. Er gibt vor, welchen Typ er sucht, Legien macht sich mit seinem Typ auf die Suche und präsentiert Spieler, der Trainer entscheidet dann, wen er am Liebsten haben würde und dann muss Hübner schauen, ob er das finanziell hin bekommt bzw. ob der Spieler überhaupt bereit ist, zu uns zu kommen.

    @Mitch:

    „Auch macht mich stutzig, warum FCI bzw. Audi ihn ziehen gelassen hat, wenn er doch so super gearbeitet hat.“

    Was sollen sie denn machen? Ihn festbinden? Wenn er gehen will (unter anderem wohl wegen seiner Familie, die hier wohnt) dann werden sie das letztlich nicht verhindern können. Und das der Vertrag einvernehmlich aufgelöst wurde, heißt ja mitnichten, dass da kein Geld geflossen ist, auch wenn es bei einem Scout sicherlich nicht so viel gewesen sein wird.

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  6. Oh, Mann! Da ist jetzt nichts dabei, was nicht schon vorher erwartet hätte, dafür muss man nicht studiert haben. Aber gut das es jetzt scheinbar einer so macht, leider 25 Jahre zu spät. Trotz alle dem wird es auch in Zukunft Fehleinkäufe geben. Manchmal passt es manchmal nicht bzw. manchmal funktionieren Soieler nicht, aber dann wieder in einem anderen Verein und umgekehrt s. z. B. Flum. Ich hätte z. b. gerne Baier von Augsburg. Mal abgesehen, dass er nicht zu uns kommt, aber bei ihm könnte ich mir auch vorstellen, dass er NUR in der Wohlfühl-Oase Augsburg so funktioniert, trotzdem müsste man es versuchen, wenn man die Chance hat.

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  7. @2
    es wäre schön, wenn wir kein Ausbildungsverein werden oder sind…..leider ist das bei der momentanen Verteilung der Gelder unumgänglich.
    Schön wäre es wie Porto wenigstens Tranferüberschüsse von 30 Mio. erzielen würden und uns mal in die Championsleague katapultieren könnten, jedoch auch dies scheint mit in Zukunft unerreichbar.

    Man muss es leider realistisch sehen, die Investition ins Scouting ist leider lebensnotwendig sofern sich in der Verteilung der Gelder nichts ändert (Buli + UEFA)

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