Mario Götze zieht die Fäden im SGE-Mittelfeld.

Wenn bald die Fußball-Europameisterschaft beginnt, werden die größten Momente der Nationalmannschafts-Geschichte in Deutschland immer wieder aus den Kisten geholt und Revue passieren lassen. Bei einem dieser Momente spielte Eintracht-Mittelfeldspieler Mario Götze eine gewichtige Rolle. Natürlich handelt es hier um dem WM-Titel 2014, bei dem der heute 32-Jährige im Finale gegen Argentinien das Goldene Tor schoss.

Dass er darauf immer wieder angesprochen werde, dürfte für ihn damit schon recht normal sein, wobei er im Interview mit der „Zeit“ nun betonte, dass es allgemein weniger werde. Trotzdem: „Gerade war es wieder mal Thema: Der DFB lädt regelmäßig Amateure ein, um ein paar Stunden auf dem DFB-Campus zu verbringen, wie die Profis. Gestern waren zwei Jugendmannschaften da, 13- und 14-Jährige, und ich kam am Schluss dazu. Da wurde dann auch das Tor gezeigt. Einige von ihnen haben es tatsächlich zum ersten Mal gesehen.“ Während es für die jungen Kicker das erste Mal war, habe er selbst die Wiederholungen schon des Öfteren gesehen: „Tausendmal waren es in den letzten zehn Jahren bestimmt.“ Dabei seien seine Erinnerungen an den Treffer selbst erblasst: „Ich sehe das Fernsehbild, ich höre Tom Bartels’ Kommentar, ganz klar. Ich habe eine ungefähre Erinnerung an den Moment, aber ehrlich gesagt geht mir das mit dem ganzen Finale so: Das rauscht so schnell an dir vorbei, du bist im Tunnel. Auch wie Jogi mich auf den Platz schickt, wie er an der Seitenlinie auf mich einredet – das ist weitestgehend weg.“

Trotzdem betonte Götze natürlich, dass dieser Treffer sehr wichtig gewesen sei. „Es war eine Befreiung. Auch eine Genugtuung, weil ich während des Turniers so wenig gespielt hatte. Freude natürlich. Und ich weiß noch: Die nächste Saison ging los mit dem DFB-Pokal. Da schießt du dieses Tor und stehst drei Wochen später beim Drittligisten Preußen Münster auf dem Platz … Diese Diskrepanz war schon krass. Da musste man erst mal mit klarkommen“, erinnerte sich der Mittelfeldmann. Trotzdem „bereue“ er diesen Treffer nicht: „Ich würde es immer wieder schießen. Das Einzige ist vielleicht der Zeitpunkt: Ich war 22.“ Er habe daher eine große Erwartungshaltung gespürt: „Wenn du früh Erfolg hast, liegt die Messlatte sehr hoch. Das ist eine Herausforderung. Umgekehrt ist es aber auch nicht einfach, da habe ich mal mit Miro Klose drüber gesprochen: Er war in der Jugend in keiner Auswahlmannschaft, er musste sich durchkämpfen bis in die Nationalmannschaft. Aber klar: Wenn ich mir meine Karriere malen könnte, hätte ich das Tor mit 35 bei meinem letzten Turnier gemacht und dann gesagt: Das war’s, ich höre auf.“ Auch durch die Art und Weise des Treffers durch perfekte Ballannahme und den wunderbaren Volley-Schuss sei diese Erwartung noch einmal gewachsen. Allerdings gab er an, dass er diesen Druck schon sehr früh hatte, da er bereits in seiner Jugend von Jürgen Klopp als „das größte Talent“, mit dem er je zusammengearbeitet habe, beschrieben wurde. Ihm sei das so richtig beim ersten Profi-Einsatz in der Bundesliga mit 17 Jahren bewusst geworden. Götze verriet, dass er hier aber auch viel Glück gehabt habe, da Jürgen Klopp auf die Jugend setzen musste und der BVB keine großen Transfers tätigen konnte. Außerdem sei es bei ihm nur bergauf gegangen: „Ich kannte es ja nicht anders, als dass es immer nur aufwärtsging. Ich bin in meinem ersten Profijahr mit dem BVB Meister geworden, im zweiten haben wir das Double geholt, im dritten standen wir im Champions-League-Finale, und im vierten bin ich Weltmeister geworden. Das war so mein Standard nach vier Jahren, und natürlich denkt man da: Das muss jetzt so weitergehen!“

Schwierige Zeiten rund um München

Bald aber folgte ein erster Dämpfer, als er als Buhmann dargestellt wurde, nachdem er vom BVB zum FC Bayern München wechselte. „Das alles hat mich damals kalt erwischt. Ich hatte völlig unterschätzt, welche Bedeutung ich in Dortmund hatte. Erst mit viel Abstand konnte ich die Reaktionen als Wertschätzung begreifen“, erklärte er und erinnerte sich besonders an eine Situation: „Was ich nie vergessen werde: Wie das gesamte Dortmunder Stadion mich ausgepfiffen hat. Wie eines Tages 50, 60 Hooligans zu unserem Training gekommen sind, nur um mich zu beleidigen. Da war ich 20. Ich hatte mich damals aus rationalen Gründen für Bayern entschieden: Für mich war es in Dortmund eine großartige Zeit, auch mit Jürgen, aber die Jahre mit ihm waren alles, was ich bis dato im Profifußball kannte. Ich wollte mich weiterentwickeln.“ 

Seine Zeit in München sei vor allem durch Trainer Pep Guardiola geprägt gewesen, unter dem Götze sportlich und taktisch sehr viel gelernt habe, wie er angab. Dabei soll es so gewesen sein, dass er selbst gar nicht der Wunschspieler von Guardiola gewesen sei: „Das ist normal. Vereine und Trainer haben meistens mehrere Spieler zur Auswahl. Der Konkurrenzkampf bei Bayern war hart, da waren internationale Topspieler – Franck Ribéry, Arjen Robben, Xabi Alonso –, und ich habe rückblickend sogar verhältnismäßig viel gespielt. Nur hatte ich damals eine andere Perspektive: Wenn ich mal zwei Spiele nicht von Anfang an gespielt hatte, war das für mich ein Weltuntergang.“ Er gab zu, dass er in München etwas seiner Leichtigkeit verloren habe – auch, weil er immer mit seinem 18-Jährigen Ich verglichen wurde. Für ihn noch heute unverständlich: „Von außen wurde das nie verstanden: In Bayern hatte ich eine völlig andere Mannschaft als in Dortmund, einen anderen Trainer, wir spielten ein viel starreres Spielsystem. Ich kann ja auch nicht sagen: Messi soll jede Saison spielen, als wäre er 24, oder Cristiano Ronaldo soll bitte schön jede Saison die Champions League gewinnen, sonst ist er nicht mehr Cristiano Ronaldo. Das funktioniert so nicht.“

Allgemein gesehen gab Götze zu, dass es extrem schwierig sei, dass man im Fußballgeschäft andauernd öffentlich beurteilt werde. „Vor allem wenn du jung bist“, sei dies ein Problem. „Du spielst als Jugendlicher vor ein paar Hundert Leuten und plötzlich vor 80.000 im Stadion. Als ich 17 war, saß ich auf den ersten Pressekonferenzen, und das ganze Land schaute zu. Am Anfang habe ich wirklich jeden Artikel gelesen und mir nach jedem Spiel meine Noten im „Kicker“ und in der „Bild am Sonntag“ angeschaut.“ Dies habe sich nun aber geändert: „Heute ist es mir egal, was geschrieben wird, es macht mich weder besser noch schlechter, das meiste nehme ich nicht mal zur Kenntnis. Aber damals bei Bayern hat es mich beschäftigt und mir nicht gutgetan.“

Als wichtigsten Moment seiner Karriere nannte er bisher das Jahr 2020 und die Geburt seines Sohnes: „Wahrscheinlich die Geburt meines Sohnes im Jahr 2020. Mein Vertrag in Dortmund war damals gerade ausgelaufen, Covid ausgebrochen, und ich war zum ersten Mal in meinem Leben drei Monate lang ohne Verein. Ich saß zu Hause auf dem Sofa und wusste nicht, wie es weitergehen wird. Dann wurde mein Sohn viel zu früh geboren, er war drei Wochen auf der Intensivstation. Danach hatte ich eine komplett neue Perspektive: Nichts ist wichtiger, als dass meine Familie gesund ist. Ich habe dann in Ruhe weitertrainiert, bis ich nach Eindhoven in die niederländische Liga zu Roger Schmidt wechselte.“

Vorbilder für die Zeit nach der Karriere

Mit 32 Jahren befindet sich Götze in einem Alter, in dem viele Profis über Ihr Karriereende nachdenken. Er selbst betonte, dass er besonders eine besondere Sache vermissen werde: „Da habe ich vor allem ein Bild vor Augen: Ich gehe auf den Trainingsplatz, wir spielen im Kreis. Oder fünf gegen fünf. Da ist dieser Wettbewerb. Die Mannschaftsdynamik. Das werde ich am meisten vermissen!“ Natürlich werde er auch das Adrenalin und die vollen Stadien vermissen, vor allem aber „die Duelle auf dem Trainingsplatz. Das Rausgehen. Das sich ehrlich miteinander messen.“ Daher habe er auch Respekt vor dem Tag, an dem er aufhören und keinen vollen Terminkalender mehr haben werde: „Ich bin es gewohnt, dass mein Leben verplant ist, seit ich 13 bin. Der Spielplan steht über allem – ich kenne es nicht anders. Das wird eine große Herausforderung.“ Auch hier habe er schon auf andere Ex-Profis geschaut: „David Beckham hat es natürlich mega gemacht – mit seiner Marke, auch mit seinem Club Inter Miami, den er zusammen mit anderen Investoren besitzt und der sehr unternehmerisch gedacht ist. Oder Zlatan Ibrahimović, der nicht nur den AC Mailand berät, sondern auch Red Bird Capital, den Private Equity Fund, dem der Club gehört. Ich glaube, dass so etwas zunehmen wird, die Verbindung aus Finance und Fußball.“ 

Auch Götze selbst ist bereits neben dem Fußball aktiv und hat als Investor bereits Anteile an mehr als 50 Start-Ups. Ihn reize hier vor allem eines: „Neugierde. Ich finde es spannend, mich mit jungen Gründern auszutauschen, die eine Vision haben, die was verändern wollen. Und ich war ja selbst mal ein junger Athlet, den Leute unterstützt haben, ich hatte Trainer, Mentoren, ohne die mein Weg anders verlaufen wäre.“

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