Die Situation für Eintracht Frankfurt im Abstiegskampf ist schwierig, manche erachten sie als aussichtslos, und folgerichtig beginnen nicht wenige im Umfeld des hessischen Traditionsvereins bereits vier Spieltage vor Saisonende mit den Aufräumarbeiten: Schuldige werden gesucht, Köpfe sollen rollen, ein Neustart wird gefordert. Diese Reflexe der Volks- und Fanseele erleben alle Absteiger mehr oder weniger intensiv. Nicht selten verhindern aber die emotionalen Forderungen der Anhängerschaft auf der einen und panikgesteuerte Alibireaktionen der Vereinsführung auf der anderen Seite eine systematische Aufarbeitung der Ursachen des Scheiterns und einen erfolgreichen Neuanfang.
Die Gründe für einen Abstieg sind in erster Linie – das ist eine Binsenweisheit – bei der sportlichen Führung zu suchen. Bei Eintracht Frankfurt teilen sich das Trainerteam, Sportdirektor Bruno Hübner und der für den sportlichen Bereich zuständige Vorstand, Heribert Bruchhagen, die Verantwortung. Der Unmut der Fans richtet sich jedoch keineswegs nur auf diese handelnden Personen, sondern zugleich auf Vorstand Axel Hellmann, Präsident Peter Fischer und den ganzen Aufsichtsrat, personifiziert durch Wolfgang Steubing. Obwohl Hellmann primär für Marketing, Vertrieb und die in der Tat defizitäre Öffentlichkeitsarbeit der AG verantwortlich zeichnet, steht Fischer in erster Linie dem Verein mit 17 Abteilungen vor, und Steubing gehört dem Kontrollgremium an, das die Weichen für die Zukunft stellen soll. Obwohl diese drei Personen für den sportlichen Erfolg oder Misserfolg nur kollateral zur Rechenschaft gezogen werden können, erlaubt sich die öffentliche Meinung, in dieser Frage nicht allzu differenziert vorzugehen. In einer diffusen Mischung aus berechtigter Kritik, Verschwörungstheorien und persönlichen Animositäten wird die gesamte Führungsspitze von Eintracht Frankfurt in einen Topf geworfen und als unfähig etikettiert. Einzig Finanzvorstand Oliver Frankenbach wird derzeit geschont – er hält sich klugerweise mit öffentlichen Äußerungen meist zurück.
Es soll an dieser Stelle keineswegs darum gehen, einer oder mehreren Personen Absolution zu erteilen. Allerdings sei der Hinweis erlaubt, dass Eintracht Frankfurt sich in einer sportlichen Krise befindet – nicht in einer wirtschaftlichen oder finanziellen Krise. Der hessische Traditionsverein ist gesund, bekam die Lizenz für beide Ligen ohne Auflagen, verfügt nach wie vor über Potenzial und eine große Anhängerschaft. Den Charakter einer Fahrstuhlmannschaft hat sich der Verein durch viele Fehler, falsche Einschätzungen und auch unglückliche Umstände auf sportlichem Gebiet mühsam erworben. Deshalb sollte sich die Suche nach den Schuldigen für den Niedergang auch auf die handelnden Personen beschränken, die die Auswahl der Spieler und deren Darbietungen auf dem Platz zu verantworten haben. Während Armin Veh Geschichte ist und sein Nachfolger Niko Kovac trotz anhaltender Erfolgslosigkeit noch Welpenschutz genießt, konzentriert sich die Kritik auf Bruno Hübner und Heribert Bruchhagen.
Da die Ära des Vorstandsvorsitzenden in wenigen Wochen endet und Kritik an seiner Person für die Zukunftsgestaltung folgenlos wäre, steht vor allem der Sportdirektor im Mittelpunkt der Anfeindungen. Und in der Tat: Hübner muss sich Fragen nach seiner Einkaufspolitik gefallen lassen. Weder wurden schnelle Akteure für das Umschaltspiel im Mittelfeld noch überzeugende Lösungen für die linke offensive Außenbahn geholt. Die Neuzugänge passten nicht zu dem von Armin Veh favorisierten Spielsystem und die jüngsten Winterverpflichtungen drohen allesamt als Flops etikettiert zu werden. Auch fehlt es an einer Alternative zu Torjäger Alex Meier, an stabilen Kräften im defensiven Mittelfeld und einer überzeugenden Besetzung auf der rechten Abwehrseite. Überdies lag er bei den beiden letzten Trainerentscheidungen daneben. War also alles schlecht, was Hübner gemacht hat?
Letztendlich werden Entscheidungen über die Zusammensetzung der Mannschaft und des Trainerteams immer im Zusammenspiel von Sportdirektor und Sportvorstand getroffen. Die Öffentlichkeit wird dabei in aller Regel über die Ergebnisse informiert, nicht über den Prozess des Zustandekommens, über mögliche Alternativen, gescheiterte Verpflichtungen, unerfüllbare Forderungen oder die Rolle der Berater. An der Entscheidung für einen Spieler sind darüber hinaus die jeweiligen Trainer und Scouts beteiligt. Bei allen Fehlern, die Hübner zugeschrieben werden können, sollten wir gleichwohl vorsichtig sein, den Stab über einen Mann zu brechen, mit dessen Namen immerhin auch der Aufstieg und der Einzug in die Europa League verbunden ist. Erinnern wir uns doch an den Anfang der Saison? Wer konnte ernsthaft erwarten, dass Stefan Reinartz eine so schlechte Runde spielen und so oft verletzt sein würde? Wer konnte damit rechnen, dass Luc Castaignos und Alex Meier so lange ausfallen würden? Ist es Hübner zuzurechnen, dass Kadlec nicht den Durchbruch geschafft hat, dass Stefan Aigner und Haris Seferovic meilenweit von ihrer Vorjahresform entfernt sind? Nochmals: Es geht nicht darum, Hübner von seiner Verantwortung frei zu sprechen, aber die Gründe für den Niedergang sind vielfältig und zwar auch mit dem Namen von Hübner, aber zugleich mit den Namen Armin Veh und Heribert Bruchhagen verbunden. Soll man deshalb auch einen Wechsel auf der Position des Sportdirektors vornehmen, nachdem Veh schon weg ist und Bruchhagen im Juni einen wahrscheinlich eher frostigen Abschied erhalten wird?
An dieser Stelle wird die Ansicht vertreten, dass in der Aufarbeitung der Gründe für die Krise nicht der Fehler begangen werden sollte, mit einem Bauernopfer Hübner allzu schnell zur Tagesordnung überzugehen. Die Fehler wurden nicht nur von Hübner und nicht nur vor und im Laufe dieser Spielzeit gemacht, sondern haben sich in den vergangenen Jahren summiert. Wer erinnert sich nicht an die Spiele unter Thomas Schaaf, als nur die Offensivstärke und die Treffsicherheit von Alex Meier ein Abrutschen in den Tabellenkeller verhinderten? Hat einer der Trainer der vergangenen Jahre der Mannschaft seinen Stempel aufgedrückt? War ein Spielsystem zu erkennen, das zu der Mannschaft und den vorhandenen Spielerpersönlichkeiten passte? Die vermeintlichen kleinen Nachbarn aus Mainz und Darmstadt stellen unter Beweis, dass es auch mit weniger Mitteln möglich ist, Erfolg zu haben. Wohl gemerkt: Auch für die Trainerentscheidungen muss man Hübner in die Pflicht nehmen. Vor allem aber braucht die Eintracht gut funktionierende Schnittstellen in allen Bereichen des Vereins, die von dem sportlich Verantwortlichen im Vorstandsbereich gesteuert werden müssen.
Deshalb kommt der Besetzung der Bruchhagen-Nachfolge eine so große Bedeutung zu. Im Vordergrund eines Neuanfangs nach dem Abstieg oder nach der wundersamen Rettung müsste deshalb die Entwicklung einer Strategie stehen, wie Eintracht Frankfurt in den nächsten Jahren den Anschluss an die erste Liga erreichen, welchen Weg der Verein mit jungen Spielern, mit Talenten aus der Region, mit einem professionellen Scouting erreichen will. Es geht um die Entwicklung einer Spielidee, einer Philosophie, die nicht nur den Profibereich, sondern auch das Leistungszentrum umfasst und unabhängig von dem jeweiligen Trainer ist. Viele kleinere und erfolgreiche Klubs zeigen, dass es möglich ist, Trainer zu suchen, die zum Verein und zur Mannschaft passen und nicht umgekehrt. Ob Hübner der richtige Mann für einen solchen Neuanfang ist, ob man die Brüder Kovac als Trainer für diesen Prozess des Neuanfangs mit ins Boot nehmen will und ob sie dazu überhaupt bereit sind, sind Fragen, die erst am Ende der strategischen Entscheidung stehen sollten.
Nicht zuletzt sollten wir alle auch im Blick haben, dass eine Entscheidung über den Abstieg (hoffentlich) nicht vor Mitte Mai fallen wird, die künftigen Zweitligisten aber bereits im Juni wieder ins Training einsteigen müssen, da deren Saisonstart bereits am 5. August 2016 ist. Sollte die SGE tatsächlich den Gang ins Unterhaus antreten müssen, blieben von heute an gerade einmal acht Wochen, um einen Sportvorstand zu etablieren, den bisherigen Kader aufzulösen, den neuen zu planen, Spieler- und möglicherweise Trainerverpflichtungen zu tätigen und der enttäuschten Anhängerschaft neue Hoffnung mit auf den Weg der Zweitklassigkeit zu geben. Deshalb sind Forderungen, alle alten Zöpfe abzuschneiden und Köpfe rollen zu lassen, aus der Enttäuschung heraus verständlich, letztendlich handelt es sich dabei aber nur populistische Stereotypen. Eintracht Frankfurt muss sich – egal, in welcher Liga sie nächstes Jahr spielen – neu aufstellen und mit erweitertem fußballerischen Sachverstand und innovativen Ideen die Zukunftsfähigkeit des Vereins sichern.
51 Kommentare
Joe,
die Mainzer haben die letzten 7 Jahre viermal an Euro gekratzt und waren zudem dreimal im sicheren Mittelfeld...das ist schon was....und wenn das ein derartiger (sorry ist nicht despektierlich gemeint) Provinzclub schafft, warum sollen wir das dann nicht schaffen bzw. mit unseren wesentlich größeren Möglichkeiten noch eine Schippe drauflegen.
Es geht mir primär darum das Maximum herauszuholen und das hat dieser Zwergenclub geschafft und wir nicht. Wir haben ein ganz anderes Umfeld, eine ganz andere Power als der Karnevalsclub und das gilt es ins Boot zu holen und mitzunehmen. Das klappt aber nicht wenn wir keine mutige Philosophie haben, wenn wir mal diesen und mal jenen Trainer holen (ohne jegliche Linie), dasselbe bei den Spielern.
Wenn wir das Maximum aus dem Rhein-Main Gebiet herausholen würden, dann wären wir eine Macht!
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