Sommer 1999: Sebastian Kneißl (li.) im Duell mit Andreas Hinkel vom B-Jugendteam des VfB Stuttgart. Foto: Imago/Pressefoto Baumann

Als die Eintracht-Fans bei DAZN das erste Europa-League-Spiel ihrer Adler gegen Marseille am Bildschirm verfolgten, dürfte so manchem ein vertrauter Name begegnet sein. Der von Sebastian Kneißl. Für den DAZN-Experte war es ein besonderes Match. Denn Sebastian Kneißl hat das Kicken bei Eintracht Frankfurt erlernt, bevor er eine bewegte Karriere hinlegte – zwischen Training unter Jose Mourinho und Bolzplatz mit Straßengangs. Manche mögen sagen, er sei als Profi gescheitert. Er selbst sagt dazu im SGE4EVER.de-Interview: „Im Vergleich zu gestandenen Bundesligaspielern wie Christoph Preuß oder Jermaine Jones aus meinem Jahrgang habe ich es nicht geschafft, im Vergleich zu manch anderem aber schon.“ Geschafft? Gescheitert? Sebastian Kneißl wirkt nicht wie einer, der wehmütig zurückschaut.

Sebastian Kneißl war eines der größten Talente Deutschlands

Der gebürtige Odenwälder galt um die Jahrtausendwende als eines der größten Versprechen des deutschen Fußballs. 1998 kam er als B-Jugendlicher vom FC Bensheim zur Eintracht. Er war Juniorennationalspieler, stand in den Notizbüchern der internationalen Topklubs. Bei der Eintracht sah er kaum Perspektiven: „Die Eintracht wollte oder konnte mir nicht die Chance bieten, in der ersten Mannschaft mit zu trainieren.“ Chelsea bot die Gelegenheit schon als A-Jugendlicher bei den Profis reinzuschnuppern. Für Kneißl der entscheidende Punkt.

Mit 17 nach England

Der Wechsel kam nicht überall gut an. „Mir wurde vorgeworfen, dass ich wegen des Geldes gehe. Aber das stimmte nicht“, erklärt Kneißl. „Natürlich war das Wahnsinn mit 16. Plötzlich war von Monatsgehältern die Rede, die waren so hoch wie mein Vater als Maurermeister im Jahr verdiente“, erinnert sich Kneißl. Dennoch sei er gegangen, weil Chelsea ihm die Perspektive geboten habe, seinen Traum vom Fußball-Profi bestmöglich zu erreichen. Deshalb schlug er lukrativere Angebote, etwa von Lazio Rom aus, und wagte als zweiter deutsche Juniorennationalspieler nach Moritz Volz den Sprung nach England.

In einer neuen Welt

In London tauchte er ein in eine neue Welt. Eine Welt zwischen Weltmeister und Schuhputzer, zwischen am Ziel aller Träume und doch noch nichts erreicht. Noch heute hört man die Faszination in seiner Stimme, wenn Sebastian Kneißl über seine Zeit bei Chelsea spricht. „Wir saßen mit den Profis an einem Tisch. Da wurde über das Training, den nächsten Gegner, aber auch die neue Uhr oder das Haus, dass sie sich kaufen wollten, gesprochen. Ich saß da, hab gelauscht und hatte Riesenohren, da hätte man für meine Ohren eigentlich einen eigenen Stuhl gebraucht“, lacht Kneißl. Auch sportlich lief es zunächst wie geplant. Er überzeugt er in der A-Jugend und zweiten Mannschaft, durfte mit dem Team von Claudio Ranieri mit ins Trainingslager.

Im Ferrari mit einem Weltmeister

Der französische Welt- und Europameister Marcel Desailly fuhr ihn mit seinem Ferrari nach Hause, kümmerte sich als Mentor um den deutschen Youngster. „Einmal haben wir im Training gegeneinander gespielt, anschließend nahm er mich zur Seite und hat mir gesagt, was ich besser machen kann. Ein geileres Feedback kannst du als junger Spieler nicht kriegen.“ Im nächsten Moment drückte Desailly dem Jugendspieler Kneißl seine Schuhe zum Putzen in die Hand. Bei Chelsea kümmerten sich die Jugendspieler um die Ausrüstung der Stars. „Da war ich wieder auf dem Boden“, schmunzelt Kneißl. „Wenn ich an die Momente zurückdenke, kriege ich heute noch Gänsehaut.“

Dann kam Abramowitsch

Das Debüt in die Premier League schien für Sebastian Kneißl nur eine Frage der Zeit. Doch dann kaufte Roman Abramowitsch 2003 den Verein und pumpte Unsummen in das Team. Plötzlich mussten Titel her, gegen Rekordtransfer Damien Duff hatte der Jugendspieler Kneißl keine Chance. „Es ist unglücklich gelaufen“, sagt Kneißl rückblickend. Ob er den Schritt nach England im Nachhinein bereut hat? „Nein, ich würde ihn wieder machen, mir diesmal aber etwas mehr Zeit nehmen.“  Auch, weil er nach zwei Ausleihen nach Schottland und Belgien für vier Wochen unter einem der größten Trainer aller Zeiten trainieren durfte: Jose Mourinho. „Ich kann nur in höchsten Tönen von ihm sprechen“, sagt Kneißl und wie um das zu unterstreichen, erzählt er die Geschichte, wie er Mourinho in diesem Sommer wiedertraf. „Ich war für RTL als Experte beim Spiel Manchester United gegen Bayern, als er an mir vorbeilief. Ich rief ‚Hey Boss‘ und er schaute zweimal und sagte ‚Hey Seb‘! Das war beeindruckend, wir haben uns 14 Jahre nicht gesehen, ich habe nie unter ihm gespielt. Trotzdem kannte er mich noch und war sehr interessiert, was ich jetzt mache.“

„Kein Bock mehr auf Fußball“

Auf das endgültige Ende in London folgte die Rückkehr nach Deutschland, zu Wacker Burghausen in die 2. Liga. Nach einer starken Saison spielte er in der zweiten Runde keine Rolle mehr – bis jetzt weiß er nicht wieso. „Der Neckbreaker“, nennt es Kneißl heute. „Das war der Moment, wo ich gemerkt habe, dass im System Fußball der Mensch nicht zählt.“ Kneißl hatte die Lust am Fußball endgültig verloren, war bei seiner nächsten Station in Düsseldorf froh, wenn andere aufs Feld durften. Er zog die Konsequenzen, beendete ein halbes Jahr später mit 25 seine Profikarriere und wurde Streetworker in London. Abends trainiert er Gangmitglieder aus den berüchtigten Londoner Vierteln, Jungs denen man lieber nicht auf der Straße begegnet. Vor dem Training wurden die Taschen kontrolliert. Zum Vorschein kamen Messer oder Pistolen. „Einmal regnete es zu heftig, das Training fiel aus. Später erfuhr ich: An diesem Abend kam es zu einer Schießerei,“ so der Odenwälder. Doch Kneißl wurde von den Jungs respektiert, sie schauten zu ihm auf, wenn er den Ball volley in den Winkel hämmerte. Kneißl selbst nennt die Zeit einen „eyeopener“. Er merkte, die Jungs hörten ihm zu, er konnte ihnen als Trainer etwas vermitteln. „Ich habe schon als Spieler mir alles notiert, was Jose Mourinho gemacht hat, mich mehr für das Spiel anderer als mein eigenes interessiert“, erzählt der 35-Jährige.

Spieler individuell besser machen

Heute trainiert er die Reserve des Regionalligisten SV Heimstetten und kümmert sich um die Geschäftsstelle. Doch vor allem arbeitet er daran, dass andere nicht den gleichen Fehler machen wie er. Kneißl ist Sport-Mentaltrainer. Und der sagt über den jungen Fußballer Sebastian Kneißl: „Meine Ausstrahlung hat nicht immer gepasst. Habe ich einen Zweikampf verloren, habe ich abgewunken.“ Wie es anders geht, bringt er jungen Spielern bei. Sein Traum: in einem Bundesliga-Team als Individual-Trainer arbeiten. Den einzelnen Spieler mental und technisch besser machen. Dazu hat der Familienvater bereits sein eigenes Unternehmen gegründet: „Your Coaches“.

Sebastian Kneißl im DAZN-Studio. Foto: privat

Doch am heutigen Donnerstag ist erstmal wieder seine Expertise als DAZN-Expert gefragt. Acht bis zehn Stunden bereitet sich der Lebensgefährte von Sky-Moderatorin Britta Hofmann sich auf einen TV-Einsatz vor. „Ich schaue mir vorherige Spiele an, analysiere Daten und nehme Kontakt zu Bekannten aus den Vereinen auf, um ein Gefühl für die Stimmung in Verein und Mannschaft zu bekommen“, erzählt Kneißl über seine Vorbereitung. Er ist bei DAZN ein Mann der ersten Stunde. Umso größer die Freude über den gelungenen TV-Start in Champion League und Europa League.

Debüt als Field Reporter

Auch seinem Ex-Verein attestiert er Bestnoten: „Die Entwicklung der Eintracht in den letzten zwei, drei Jahren ist die beste in der Bundesliga“. Gegen Lazio Rom muss die Eintracht aber auf ihren bisherigen Glücksbringer verzichten. Denn Sebastian Kneißl ist zurück auf dem Platz – wenn auch nur bei seinem Debüt als DAZN-Field Reporter in Salzburg.

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