Vor dem morgigen Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg hat sich für die Frankfurter Rundschau Ingo Durstewitz mit Marco Russ unterhalten.

Frankfurter Rundschau: Herr Russ, wir sind auf der Suche nach einem Spieler von Eintracht Frankfurt, der ganz furchtlos den Sturm auf die Europa-League-Plätze ausruft. Werden wir da bei Ihnen fündig?

Marco Russ: Glaube ich nicht. Wir sind ein bisschen vorsichtig. Als es zu Beginn der Runde schlecht lief, da ist uns schon unser Saisonziel von 50 Punkten links und rechts um die Ohren gehauen worden. Und jetzt soll alles umgekehrt laufen? Nee, da mache ich nicht mit. Fakt ist: Wir haben uns ein Ziel gesetzt, das wollen wir erreichen. Und wenn wir vielleicht noch ein paar Punkte mehr holen als die angestrebten 50, dann könnte es was werden mit einem Platz in der Europa League. Natürlich träumen wir vom Europapokal. Aber träumen ist ja nicht verboten, oder?

Frankfurter Rundschau: Was läuft jetzt anders als zu Beginn der Spielzeit?

Marco Russ: Das ist schwer zu sagen. Wir hatten anfangs etwas Pech, wir haben aber auch zu viele Fehler gemacht, ich denke da auch an meinen Leichtsinnsfehler in Hannover. Jetzt haben wir die Fehler minimiert, solche Böcke schießen wir nicht mehr. Und wir treten geschlossen und gefestigt auf. Wenn du genügend Selbstvertrauen hast, dann gewinnst du auch Spiele wie jenes am vergangenen Samstag auf St. Pauli, wo wir in den ersten 30 Minuten grottenschlecht waren.

Frankfurter Rundschau: Also ist die Eintracht, um mal in abgewandelter Form mit Heribert Bruchhagen zu sprechen, von der Eigendynamik des Erfolges erfasst worden?

Marco Russ: Wir sind in einem Strudel, der uns zurzeit nach oben spült. Das ist so, unser Selbstvertrauen ist schon sehr ausgeprägt. Aber das heißt nicht, dass wir jetzt alles auf die leichte Schulter nehmen.

Frankfurter Rundschau: Vor einigen Wochen noch prangerten einige Spieler an, dass so manches innerhalb der Mannschaft falsch liefe. Was war denn da dran?

Marco Russ: Die ersten Wochen waren schwer für uns. Ganz klar. Da waren wir alle unzufrieden, und da gibt es dann auch mal Unstimmigkeiten innerhalb des Teams. Aber das ist normal, wenn der Erfolg ausbleibt. Es war aber nicht so schlimm, dass wir intern aufeinander losgegangen sind, uns gegenseitig angemacht oder Vorwürfe gemacht hätten. Da hat uns auch der Trainer geholfen, der das alles sehr genau registriert und reagiert hat. Er hat uns auch immer wieder eingeimpft, wir sollen unsere Linie beibehalten und uns nicht verrückt machen lassen.

Frankfurter Rundschau: Was gibt den Ausschlag für das momentane Hoch über Frankfurt? Alles nur Glück?

Marco Russ: Nein, das ist kein Zufall. Ich denke, wir haben uns fußballerisch enorm weiterentwickelt, wir sind vielen Mannschaften spielerisch überlegen. Aber wir wissen auch, dass uns das nichts bringt, wenn wir den Kampf nicht annehmen oder nicht in die Zweikämpfe kommen. Das hat man ja jetzt auf St. Pauli gesehen, dann bekommen wir Schwierigkeiten, gegen jeden Gegner aus der Bundesliga übrigens. Man muss ein gutes Gleichgewicht zwischen Kampf und Spiel halten. Und das klappt ganz gut, die Mischung stimmt.

Frankfurter Rundschau: Es fällt auf, dass die Eintracht wenige Gegentore (zehn) kassiert hat, nach Dortmund (sieben) sogar die wenigsten. Das muss Sie als Innenverteidiger doch ganz besonders freuen.

Marco Russ: Das ist schön, es ist eine Bestätigung für unsere Leistungen. Aber wir sollten uns nicht dafür rühmen. Es ist ja auch so, dass Pirmin Schwegler und Chris oder auch jetzt Benny Köhler vor uns vieles abräumen. Das erleichtert unsere Arbeit. Aber es ist ein großer Vorteil, dass in der Abwehr bisher fast gar nicht gewechselt wurde. Nur zweimal hat Benny Köhler für Georgios Tzavellas hinten links gespielt, ansonsten war es die immer gleiche Abwehrformation. Das ist Gold wert.

Frankfurter Rundschau: Erklären Sie doch mal.

Marco Russ: Na ja, ist doch ganz einfach. Jeder von uns weiß genau, wie der andere läuft oder steht. Ich kann mich blind auf die anderen verlassen. Die Abstimmung ist nahezu perfekt. Das ist der große Vorteil, wenn man eingespielt ist. Und Oka Nikolov spielt auch eine große Rolle. Er ist erfahren und ruhig, er weiß genau, wann er was zu sagen hat. Und er macht das mit dieser Ruhe, die uns einfach guttut. Man kann diesen Wert gar nicht hoch genug einschätzen. Es ist ein gutes Gefühl, Oka hinter einem zu wissen.

Frankfurter Rundschau: Sind Sie mit Ihrer persönlichen Entwicklung zufrieden? Coach Michael Skibbe hält große Stücke auf Sie, auch wegen Ihrer guten Spieleröffnung und Ihren technischen Fähigkeiten.

Marco Russ: Es macht mich stolz, dass der Trainer auf mich baut. Aber die ganze Mannschaft kann stolz auf das sein, was Sie bisher geleistet hat − gerade nachdem wir schon abgeschrieben wurden. Aber wir wissen nur zu gut, wie schnell sich der Wind wieder drehen kann. Wir sind auf der Hut, jeder weiß, dass er sich nicht ausruhen kann.

Frankfurter Rundschau: Auch weil Skibbe schon mal eisern durchgreifen kann?

Marco Russ: Ja, man muss auch mal sehen, wer es bei uns oft nicht mal auf die Bank schafft. Da sind Spieler dabei, die früher zum Stamm gezählt haben. Jeder weiß, dass der Trainer harte Entscheidungen treffen muss und treffen kann. Herr Skibbe kennt da keine Skrupel. Und ich denke, es bekommt uns Spielern gut, dass wir wissen, dass wir nicht machen können, was wir wollen.

Frankfurter Rundschau: Herr Russ, letzte Frage: Schwirrt das Thema Nationalmannschaft noch im Hinterkopf umher?

Marco Russ: Im Hinterkopf schon, ja. Ich denke, mir geht es wie Patrick Ochs. Wir haben immer mal gehofft, vielleicht eine Einladung zu bekommen. Aber wir gingen immer leer aus. Das haben wir akzeptiert, auch wenn es ab und an schon enttäuschend war. Vor allem, wenn man sieht, dass manche Spieler eingeladen werden, die vielleicht nur drei, vier, fünf oder zehn Spiele gemacht haben.

Interview: Ingo Durstewitz

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