Marco Russ wird sich die Frage wohl häufig stellen: Was wäre passiert, wenn Änis Ben-Hatira im April dieses Jahres nicht Bilder mit den verbotenen Substanzen auf Snapchat gepostet hätte? Vier Spieler mussten daraufhin nach der Partie gegen den SV Darmstadt 98 zur Dopingprobe gehen – und glücklicherweise war auch der Mann mit der Nummer 4 auf dem Trikot dabei. Der 31-Jährige gibt im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau zu, dass “es kurz vor knapp” war. Er führt weiter aus: “Es war nicht so, dass man die Operation hätte verhindern können. Es war so, dass es ziemlich zügig entfernt werden musste.” Hodenkrebs lautete die Diagnose, die wohl einiges im Leben des gebürtigen Hanauers verändert hat und ihn überrascht: “Ich habe keine Anzeichen gemerkt, dass etwas nicht stimmen könnte.” Dabei stand zunächst der Verdacht des Dopings im Raum: “Der Trainer kam nach dem Training und sagte: Wir haben ein Problem, die Dopingstelle hat angerufen und ich sei positiv getestet worde.” Russ beteuerte sofort seine Unschuld und war sich auch schnell sicher, dass er auch unwissentlich keine verbotenen Präparate zu sich nahm.
Er stand nun im Fokus der Staatsanwaltschaft, die ins Mannschaftshotel anrückte und seine Wohnung durchsuchte, um dem Anfangsverdacht des Dopings auf den Grund zu gehen. Russ ließ sich auch davon nicht aus der Ruhe bringen und stellte sich in der Relegation gegen den 1. FC Nürnberg voll in den Dienst der Mannschaft, bestritt das Hinspiel – erzielte ein Eigentor und holte sich die fünfte Gelbe Karte ab. Sein Einsatz sorgte damals für viel Aufsehen, vor allem der Nürnberger Trainer René Weiler und der Torhüter Raphael Schäfer fielen durch harte Aussagen – sie kritisierten den Umgang mit der Diagnose oder stellten gar die Erkrankung an sich infrage – auf. Der Defensivallrounder der Eintracht steckte zu dieser Zeit schon in einem Tunnel, in dem vieles an ihm einfach vorbeilief und gar nicht mehr richtig wahrgenommen wurde. Er ist allerdings nicht nachtragend und konnte die Worte einschätzen. Zudem haben sich die beiden Nürnberger bei ihm gemeldet und alles eingeordnet. “Das war keine große Sache”, macht er einen Haken an diese Geschichte. Verglichen mit dem, was auf Russ zukommen sollte, war dies nur ein Geplänkel. Als die Frankfurter im Rückspiel im Frankenland ihren 1:0-Sieg und den geglückten Klassenerhalt feierten, lag er schon auf dem Operationstisch.
“Die Operation an sich”, erklärt Russ, “war aus meiner Sicht eigentlich ganz easy, das habe ich super weggesteckt. Ich bin am nächsten Tag ja schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden.” Die schwierige Zeit fing mit den Chemotherapien an. Der Körper reagierte empfindlich auf die Behandlung: “Da konnte ich nur liegen, Übelkeit war dabei, der Kreislauf war nicht so, wie er normal ist. Die Zeit von der ersten Chemo bis vor drei, vier Wochen war echt hart.” Der Körper brauchte viel Ruhe, auch mental war das ganze Prozedere sehr schwer einzuordnen: “Ich bin ja Hochleistungssportler, Tag und Nacht auf den Beinen, immer ausgepowert – und auf einmal liegst du da und weißt nichts mit dir anzufangen. Das ist schon hart.” Vor allem die zweite Chemotherapie war für Russ extrem und raubte ihm die Kraft. Allerdings bekam er in dieser schwierigen Zeit immer wieder positives Feedback von den Ärzten.
Der Vize-Kapitän der Eintracht zeigte sich daher permanent zuversichtlich, dass er den Krebs überstehen und irgendwann wieder auf dem Feld stehen werde. Er wusste, dass bereits vielen Menschen vor ihm geholfen wurde – neben Sportlern auch Kampfjetpiloten. Dies ist erwähnenswert, weil normalerweise bei einer Chemo auch eine Substanz dabei ist, die die Lunge beeinträchtigen kann: “Das ist bei Leistungssportlern und Kampfjetpiloten extrem schlecht. Und deshalb ist noch ein Professor in Koblenz zu Rate gezogen worden, der viele Kampfjetpiloten während so einer Erkrankung betreut. Deshalb ist eine Chemo gewählt worden, die die Lunge schont.” Russ erzählt, dass er nach dem ersten großen Schock gut von der Familie und seinem gesamten Umfeld aufgefangen wurde. Er verdrängte bis zum Schluss, wie schlimm es tatsächlich in diesen Monaten um ihn stand.
Doch Russ hat den Kampf überstanden – die ausgefallenen Haare wachsen nach und er fühlt sich nach von Tag zu Tag besser. Langsam laufen, Yoga, Tennisspielen – Russ tastet sich langsam wieder heran und schaut, wie sein Körper reagiert: “Es ist jetzt auch nicht so, dass ich die Belastung steigere, wenn ich merke, mein Körper verkraftet das. Ich das, um meinen Köprer so ein bisschen ins Laufen zu bringen.” Wichtig ist für ihn vor allem die Abschlussuntersuchung am 19. Oktober: “Danach fange ich mit unseren beiden Rehatrainern an, dann wird ein Programm ausgearbeitet, um das Ganze so langsam zu steigern.” Angst vor dem Tod hatte Russ in dieser ganzen Zeit nicht. Die Ärzte sagten ihm gleich, dass er einen gut behandelbaren Krebs gehabt habe. Sprich: “Es ist ja im Grunde außerhalb des Körpers und keine Art, die schnell streut und wichtige Organe befällt. Von daher waren solche Gedanken weit weg.”
Das Eigengewächs der Eintracht bekam in dieser Zeit nicht nur Unterstützung vom privaten Umfeld, sondern auch vom Verein. Der Vertrag wurde bis 2019 verlängert – und dies war nicht nur ein symbolischer Akt, sondern auch die Überzeugung, dass Russ wieder wird Fußball spielen können: “Ich kann mich da nur bei allen bedanken, bei Heribert Bruchhagen, Fredi Bobic, Bruno Hübner und Niko Kovac. Sie haben sich alle für mich eingesetzt und gesagt, dass sie mich unterstützen. Ich konnte sie immer anrufen. Darüber habe ich mich riesig gefreut.” Ob es tatsächlich wieder für Einsätze in der höchsten deutschen Liga langt, kann noch nicht prognostiziert werden – er ist allerdings felsenfest davon überzeugt, “dass ich wieder Fußball in der Bundesliga spielen werde!”
4 Kommentare
Alles Gute weiterhin Russer!!! Gänsehaut vorprogrammiert,wenn Du dein erstes Spiel machen solltest!! Ich für meinen Teil würde es Dir von Herzen wünschen
Wie @1
Schön, dass vom Verein die Unterstützung da ist.
cool!
Ich bin und bleibe Fan von Russ!
Gute Besserung!
Forza SGE
Natürlich wird er wieder Bundesliga spielen - alles nur eine Frage der Zeit.
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