Nach einer teils spektakulären Saison 2014/15 unter Thomas Schaaf, mit wilden Spielen wie einem 5:2 gegen Bremen, einem 4:4 gegen die Hertha oder einem 4:5 in Stuttgart, sucht die Eintracht in der Sommerpause nach Verstärkungen und holt dabei Spieler, von denen manche später noch von sich reden machen werden. Torhüter Lukas Hradecky etwa, oder einen jungen Serben namens Mijat Gacinovic. Und einen gewissen David Abraham, der in Sinsheim in der Vorsaison nur noch selten zum Einsatz kam. Im Winter 2013 hatte man den Argentinier noch aus Getafe geholt, um dabei zu helfen die strauchelnde TSG Hoffenheim irgendwie in der Liga zu halten. Was mit Ach und Krach gelang, wenn auch über den Umweg der Relegation. Eine Erfahrung, die Abraham bei seinem neuen Klub noch mal nutzen sollte – und zwar direkt in seinem ersten Jahr am Main.

Abstiegskämpfer

David Abraham während der Relegation um die Bundesliga.

Einen Stammplatz hat „der Neue“ sofort sicher, in der Liga verpasst er nur drei Spiele, davon jeweils eines wegen der 5. Gelben Karte beziehungsweise aufgrund von Knieproblemen. Nach einem hoch dramatischen Endspurt spielt Abraham mit der Eintracht zum zweiten und letzen Mal in seiner Karriere in der Relegation, diesmal gegen den 1. FC Nürnberg und wieder behält der Argentinier mit seiner Mannschaft am Ende die Oberhand. Auf dem Weg zum Klassenerhalt ist er einer der „Unsung Heroes“, denn während sich der eigentliche Abwehrchef Carlos Zambrano regelmäßig mit Verletzungen und deren Folgen herumschlagen muss, übernimmt der Sommerneuzugang auch noch ohne Binde am Arm Verantwortung. In den letzten Sekunden des Relegationsrückspiels nimmt er ebenso wie Lukas Hradecky eine Gelbe Karte billigend in Kauf, als erst der Finne, dann der Argentinier sich so aufreizend viel Zeit bei einem Abstoß lassen, dass Schiedsrichter Christian Dingert ihnen den gelben Karton zeigt, während die Heimfans das Schauspiel mit wütenden Pfiffen kommentieren. Sekunden später ist es geschafft und während Cheftrainer Niko Kovac versucht die Spieler des untröstlichen Gegners noch auf dem Platz wieder aufzurichten, sind Abraham und seine Mitspieler längst auf dem Weg zum ekstatischen, vor allem aber erleichterten Gästeblock. In „Auf euch“-Shirts feiern die Spieler mit den Fans und der pfeilschnelle Innenverteidiger erlebt erstmals hautnah, welche emotionale Wucht Eintracht Frankfurt entfachen kann. Spoiler: Er wird nicht der letzte Moment dieser Art für ihn bleiben.

Leitwolf

David Abraham ging gestern als echter Leader voran und hatte großen Anteil an der Aufholjagd der Hessen.
David Abraham war jahrelang ein echter Leader bei der Eintracht.

In den Folgejahren, in denen überdurchschnittlich viele Spieler bei der Eintracht ein- und ausgehen, wird David Abraham nicht nur unumstrittener Chef der Hintermannschaft, sondern auch zu einer der Konstanten eines Teams, ja eines ganzen Vereins im Wandel. Die Kapitänsbinde trägt er dabei erstmals am achten Spieltag der Saison 2016/17, bei einem 3:0-Auswärtssieg beim Hamburger SV. Welchen Stellenwert der Innenverteidiger bereits in seinem zweiten Jahr als Adlerträger genießt, zeigt der Umstand, dass er es ist, dem Cheftrainer Niko Kovac in Abwesenheit von Alex Meier die Binde anvertraut. Es ist ein Modell mit Zukunft, denn wann immer ab diesem Zeitpunkt der „ewige“ Alex Meier nicht auf dem Feld stehen kann, ist Abraham erster Thronfolger für das Amt des Spielführers. In der Folgesaison kommt es dann faktisch zur Ablösung, denn der Frankfurter „Fußballgott“ fällt fast die gesamte Spielzeit verletzungsbedingt aus. Der „Capitano“ ist da schon längst auch abseits des Platzes eine der Integrationsfiguren in einer sehr bunten, internationalen Eintracht-Mannschaft. Abraham ist Familienmensch, hat eine hohe Sozialkompetenz, ist emphatisch und, salopp gesagt, einfach ein richtig netter Kerl. Dass er fließend Deutsch, Englisch und Spanisch spricht, ist ebenfalls kein Nachteil in der Kabine. Während also Kevin-Prince Boateng mit der Aura des Superstars und als emotionaler Leader das Rampenlicht sucht, führt Abraham seine Mannschaft zumeist abseits der Scheinwerfer zum zweiten Mal hintereinander ins DFB-Pokalfinale und letztlich zur Pokalsensation gegen den FC Bayern. Und das nur ein Jahr nach der tränenreichen Niederlage gegen den BVB, in deren Folge Mannschaft und Verein fast trotzig verkündet hatten: „Wir werden wieder kommen und vollenden.“ Man wollte diese knappe Niederlage einfach nicht auf sich sitzen lassen und schrieb dafür eines der märchenhaftesten Kapitel der an Anekdoten nicht gerade armen 120-jährigen Vereinsgeschichte. Schöne Randnotiz: David Abraham war damit erst der zweite Spieler überhaupt, der die SGE in zwei Pokalendspielen als Kapitän auf das Feld führen durfte. Der andere ist Jürgen Grabowski.

Ehrenmann

Der Pokalsieg 2018 ist es auch, der viel über den Menschen David Abraham und seinen Charakter aussagt. Während der Spieler außerhalb Frankfurts bisweilen fälschlicherweise den Ruf des Raubeins weg hat, denken viele Fans des hessischen Bundesligisten wohl vor allem zuerst an die Pokalübergabe 2018, wenn sein Name fällt. Dieser Augenblick, den er später als den schönsten seiner Karriere adelte, ist keiner, den er nur für sich will. Statt zu tun was Kapitäne nun mal tun, holte er seinen Vorgänger Alex Meier nach vorne aufs Podium, um mit ihm gemeinsam den DFB-Pokal in den Berliner Nachthimmel zu strecken. Besonders macht diesen Moment, dass Meier an diesem Tag eigentlich nicht mal im Kader stand, genau genommen hat er in der gesamten Saison nur ganze drei Minuten auf dem Platz gestanden. Es ist ein absoluter Gänsehautmoment, der viele, die es mit der Eintracht halten, zu Tränen rührt.

Abrahams großer Moment – diesen teilte er. Foto: imago images / DeFodi

Kurioserweise ist es der zweite große Augenblick binnen 14 Tagen, den David Abraham und Alex Meier teilen. Am 33. Spieltag hatte Meier ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub HSV seinen ersten und letzten Kurzeinsatz der Saison und dabei prompt mit seinem einzigen Torschuss per Direktabnahme das sehenswerte 3:0 erzielt. Überflüssig zu erwähnen, wer in der Nachspielzeit eines bereits entschiedenen Spiels noch einmal die rechte Außenbahn entlang marschierte und „AMFG14“ im Strafraum punktgenau bedient hatte. Auch wenn er das selbst nie von sich sagen würde: David Abraham hat immensen Anteil daran, dass die große Eintracht-Karriere des Alex Meier einen beinahe kitschigen Schlusspunkt erhalten hat.

Familienmensch

Sohn Alfonso ist Abrahams ganzer Stolz.

Nun, zweieinhalb Jahre und ein rauschhaftes Europapokalhalbfinale später, verlässt auch die Nr. 19 die Eintracht, um zurück nach Argentinien zur Familie zu gehen. Söhnchen Alfonso soll auch mal abseits der Besuche in Frankfurt etwas von seinem Papa haben, der mit 34 Jahren nichts an seiner Wichtigkeit für die SGE eingebüßt hat. Weder auf, noch neben dem Spielfeld. Adi Hütter sagte kürzlich über ihn: „David ist ein Spieler, der von allen im Verein geliebt wird. Alle werden traurig sein, wenn er uns verlässt. Er ist für mich und für uns als Verein insgesamt ein absolut wertvoller Spieler, der auch nach wie vor in einer tollen körperlichen Verfassung ist und den wir natürlich auch menschlich sehr vermissen werden.“ Ursprünglich sollte es schon nach der letzten Saison zurück in die Heimat gehen, doch der Abwehrspieler wollte seine „zweite Familie“ nicht inmitten des Trubels und der Ungewissheiten der Corona-Pandemie einfach so zurücklassen. Dass Eintracht Frankfurt für den Mann aus Chabás, dessen Familie mittlerweile in Rosario lebt, ein besonderer Verein ist, hat Abraham immer wieder betont. Wenn er den Klub irgendwann verlässt, dann wird er in Europa für keine andere Mannschaft mehr auflaufen, ließ er wissen. Und auch in Argentinien wird er wenn, dann wohl nur noch unterklassig spielen, falls es das Familienleben zulässt. Schließlich hat er mit seiner SGE ohnehin schon alles erlebt.

Adios und danke für alles, Capitano.

Zum Autoren: https://twitter.com/sounds2move

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15 Kommentare

  1. Heut morgen Tränen in den Augen gehabt, als bei der Fan-Pk sein kleiner Sohn gezeigt wurde.

    Diese 5 Jahre fühlen sich wie 10 an

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  2. So ein Ehrenmann! Freue mich sehr, wenn er bei vollem Stadion seine Eintracht Familia besuchen kommt.

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  3. Das ist wie in einem guten Western. Nachdem er uns oft genug den Arsch gerettet hat, reitet er jetzt in den Sonnenuntergang.

    Mach es gut David!

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  4. Ein großer Mensch und Fußballer sagt goodbye und und ein wahrer EINTRACHTLER verlässt die große Bühne des Waldstadions!
    Danke für Alles und ein Platz in unseren Herzen ist ihm sicher.
    Man sieht sich wieder, zu einer tollen Verabschiedung im vollen Stadion und vielleicht als Markenbotschafter in Argentinien.
    Machs gut , Vadder , alles erdenkliche Glück !
    Forza SGE !

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  5. Dem Artikel schließe ich mich an: Es geht einer unserer größten Spieler. Vielen Dank für alles, was Du für unsere SGE geleistet hast und komme jederzeit in unser Stadion, in dem Du die beste Stimmung erlebt hast. Nochmals…VIELEN DANK.

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