„Mein erster Eindruck ist, dass hier alle – Mitspieler und Trainerteam – sehr eng miteinander sind. Das fühlt sich gut an“, erklärt Ritsu Dōan im Klubmagazin „Eintracht vom Main“. „Es ist hier alles einen Schritt größer als bei den Klubs, bei denen ich vorher gespielt habe. Man merkt, wie viele Menschen hier arbeiten, und die Anlage ist riesig – das hat mich sehr beeindruckt. Alles ist top – sauber, durchdacht, genau das, was ein Spieler braucht. Wirklich sehr beeindruckend.“ Der 27-Jährige steht erst seit wenigen Wochen mit dem Adler auf der Brust auf dem Platz, hat aber in seinen bisherigen Einsätzen bereits gezeigt, was für ein starker Fußballer in ihm steckt. Nach einer herausragenden Saison in Freiburg konnte sich der Japaner im Sommer seinen neuen Verein praktisch aussuchen und entschied sich schlussendlich für die Frankfurter Eintracht: „Es war immer schwer, besonders hier im Stadion. Die Fans sind unglaublich – im positiven Sinne verrückt. Letztes Jahr zum Beispiel waren Omar Marmoush und Hugo Ekitiké extrem gefährlich. Man durfte ihnen keinen Raum geben, sonst konnten sie das Spiel dominieren. Auch taktisch war das Team sehr clever. Die Eintracht war insgesamt ein sehr harter Gegner.“ Dass Dōan selbst ein unangenehmer Gegenspieler ist, haben seine neuen Kollegen in der letzten Saison am eigenen Leib erfahren. Der Flügelspieler netzte jeweils in beiden Partien gegen die SGE und war ohne Zweifel der beste Freiburger auf dem Platz. „Ich bin ein Spieler mit einem kompletten Paket. Ich kann Tore schießen, Vorlagen geben und auch verteidigen. Mein linker Fuß ist meine größte Stärke. Ich bin nicht der Typ, der drei oder vier Verteidiger ausdribbelt. Ich spiele lieber mit meinen Mitspielern zusammen, bin dann im Strafraum zur Stelle. Mein Schuss ist nicht schlecht, das habt ihr schon gesehen“, lacht der rund 21-Millionen Euro schwere Neuzugang. Bei der Eintracht trägt er jetzt die Nummer 20 und das hat einen besonderen Grund, auch wenn es ursprünglich eine andere Zahl hätte werden sollen: „Eigentlich wollte ich wieder die zehn, aber die hat hier eine besondere Geschichte. Die 20 war frei, und Makoto Hasebe trug sie vorher. Die Verbindung zu ihm und zur japanischen Geschichte des Vereins gefällt mir. Er ist in Japan eine echte Legende, ein ‚Big Boss‘. Wir haben uns schon oft in der Nationalmannschaft gesehen. Es ist schön, jemanden wie ihn in der Nähe zu haben.“ Der Wechsel zur Eintracht war für Dōan aber nicht das einzige Highlight in den letzten Monaten. Im Juni heiratete er seine langjährige Freundin. „Sie ist schon in Frankfurt und sucht eine Wohnung für uns. Wir kennen uns, seit wir 18 Jahre alt sind.“
„Fußball hat mich auf den richtigen Weg gebracht“
Gebürtig in der Großstadt Amagasaki in der Präfektur Hyōgo fing er mit drei Jahren, beeinflusst von seinen Geschwistern, mit dem Fußball an. „Ich habe zwei ältere Brüder, die schon spielten, ich bin ihnen gefolgt. Mit drei Jahren habe ich neben dem Platz gespielt, während meine Brüder dort trainierten. An Familientagen sind wir immer in den Park gegangen. Natürlich habe ich damals immer gegen sie verloren. Gegen ältere Brüder zu spielen war körperlich einfach zu schwer. Aber das war eine gute Lektion.“ Dabei wurde der Sport schnell zu einem zentralen Punkt im Leben des jungen Japaners. Auch durch die Strenge seiner Eltern: „Wenn ich etwas falsch gemacht habe, gab es schon mal eine handfeste Ermahnung. Aber das war normale Erziehung und hat mir gutgetan. Amagasaki, Hyōgo war damals keine besonders sichere Gegend. Auf der Straße gab es schon mal Schlägereien. Meine Eltern sagten mir: Entweder konzentrierst du dich auf den Fußball, oder du hängst mit diesen Jungs auf der Straße ab – beides geht nicht. Ich habe mich für Fußball entschieden und den Kontakt zu manchen Freunden reduziert. Zum Glück haben die das akzeptiert.“ Der gute Schüler fasste dadurch immer mehr den Traum eines Tages Profifußballer zu werden. „Fußball hat mich wirklich auf den richtigen Weg gebracht. Ohne ihn wäre die Wahrscheinlichkeit auf jeden Fall größer gewesen, in diese gefährlichen Kreise zu geraten.“ Eine wichtige Rolle spielte dabei auch ein gewisser Mr. Yo Hayano, dessen erste Begegnung mit Dōan einen weiteren Wendepunkt darstellte. „Er war wie ein Freund für mich, nicht nur ein Trainer. Er sagte immer: ‚Sei der Beste – mit dem zweiten Platz bin ich nicht zufrieden.‘ Das war ein wichtiger Satz für mich“, erinnert sich der Rechtsaußen. „Ich war damals der Beste in meiner Altersklasse, aber er stellte mich gegen Ältere, um mich herauszufordern. Diese vier Jahre mit ihm waren die besten meiner Karriere. Wir haben immer noch Kontakt.“ Über Urakaze FC Amagasaki und Nishinomiya Soccer School landete der Neu-Frankfurter bei Gamba Osaka, mit dessen U15 er eine historische Saison hinlegte. „Das war verrückt! Wir haben alles gewonnen, drei Titel in einer Saison. Ich war damals 13, 14 Jahre alt und habe bei den Älteren gespielt. Wir waren sogar bei einer Art Weltmeisterschaft dabei, sind Zweiter geworden und haben zum Beispiel São Paulo geschlagen.“ Seinerzeit für einen Verein wie Osaka ein unfassbarer Erfolg.
Messi-Vergleiche, Höhen und Tiefen
Mit 16 Jahren durfte der Japaner schließlich sein Profidebüt feiern. „Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, einfach gespielt und versucht, der Beste zu sein. Erst zwei Jahre später habe ich gemerkt, wie wichtig mentale Stärke ist. Damals habe ich nach dem Training oft mit mir selbst gesprochen: Was war heute gut, was schlecht? So habe ich gelernt, meine Einstellung zu verbessern.“ Das Talent des Flügelflitzer war nun schon lange kein Geheimnis mehr, sodass er bei der U20-WM im Jahr 2017 auch der japanische Messi genannt wurde. „Ich mochte es. Klar, Messi ist Messi, aber wenn Leute das zu einem sagen, ist es ein Kompliment.“ Beim Turnier stand er in allen vier Spielen auf dem Platz und erzielte dabei drei Treffer. Mit 19 sollte Dōan schließlich zum ersten Mal sein Heimatland verlassen und wechselte zunächst auf Leihbasis zum FC Groningen in die Niederlande. Ein großer und schwerer Schritt: „Neue Sprache, Kultur, Essen – keine Familie, keine Freunde. Die erste Zeit war extrem hart. Meine Eltern wollten anfangs nicht, dass ich gehe, aber ich habe darauf bestanden. Später wollte ich ihnen nicht sagen, wie schwer es ist, weil es meine Entscheidung war.“ Der nächste Schritt sollte zwei Jahre später folgen. Es ging zur PSV Eindhoven. „Der Wechsel von Groningen zu einem größeren Klub brachte mehr Druck. Ich dachte zu sehr an die Zukunft, statt mich auf den Alltag zu konzentrieren. Irgendwann habe ich wieder wie mit 18 gespielt. Das war eine wichtige Lehre, auch wenn es ein schwieriges Jahr war.“ Aber auch dort konnte sich der heute 27-Jährige durchsetzen und so führte ihn sein Weg über den Breisgau schließlich zur Eintracht.
Kein typischer Japaner?
„Mich reizt es, wenn Leute sagen, dass ich in etwas nicht gut bin. Ich höre mir Kritik an, überlege, ob sie stimmt, und versuche zu lernen. Ich bin offen für alles und glaube nicht, dass nur meine Meinung zählt. Daraus schöpfe ich Kraft und Motivation, besser zu werden“, spricht Dōan über die Herausforderungen in seiner bisherigen Karriere. Er ist bei seinen Teamkollegen stets beliebt und hat auch zu einigen anderen japanischen Spielern in der Bundesliga und europäischen Umland Kontakt. „Ko Itakura (kürzlich noch Borussia Mönchengladbach, jetzt Ajax Amsterdam, Anm. d. Red.) ist einer meiner besten Freunde, mit ihm habe ich in Groningen kurz zusammen gespielt. Mit Kaishu Sano (1. FSV Mainz 05, Anm. d. Red.) war ich mal essen.“ Auch abseits des Platzes ist der 57-fache Nationalspieler sehr aktiv. Unter anderem auch im Sake-Geschäft, einem typischen japanischen Getränk: „In Europa ist mir bewusst geworden, wie fleißig und detailverliebt Japaner arbeiten. Das wollte ich irgendwie einbringen. Ich habe mit jemandem zusammen Sake hergestellt, vom Reisanbau bis zur Produktion. Das war eine tolle Erfahrung, auch wenn ich wegen des Fußballs nicht alles selbst machen konnte.“ Aber auch den Fußball in seiner Heimat will er fördern, dazu wurde das Projekt „Next 10 Football School“ ins Leben gerufen. „Das ist meine Fußballschule für Kinder. ‚Next 10‘ kommt von meinem Traum, die Nummer 10 der Nationalmannschaft zu sein. Das habe ich erreicht, und jetzt will ich die nächste Nummer 10 fördern. Es sind schon 400 Kinder dabei, in meiner Heimatstadt Amagasaki. Ich möchte die Schule auch in Osaka aufmachen.“ Ritsu Dōan bleibt seiner Heimat sehr verbunden, auch wenn viele ihm sagen, dass er kein typischer Japaner sei: „Vielleicht, weil ich sehr offen bin und mit allen rede“, lacht der neue Spieler der SGE.
2 Kommentare
Ritsu Doan scheint wirklich ein sehr feiner Mensch zu sein.
Schöner Artikel über einen spannenden Spieler. Aber ein paar mehr Absätze täten der Lesbarkeit gut.
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