Ab dem heutigen Mittwoch (18:30 Uhr) findet bis Freitag die Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern (IMK) in Bremen statt. Eines der zentralen Ziele der Zusammenkunft ist es, die Sicherheit in deutschen Fußballstadien auszubauen. Der Vorwurf an Funktionäre und Vereine: Zu wenig Initiative gegen Gewalt und Pyrotechnik. Dabei ist es die große Streitfrage zwischen Politik, Vereinen, Fanverbänden und dem Deutschen Fußball Verband (DFB), ob die Stadien nicht sicher genug sind, welche Maßnahmen mehr Sicherheit fördern könnten und welche Neuerungen verhältnismäßig sind. Fünf große Diskussionspunkte scheinen allerdings gar nicht mehr Gegenstand der IMK zu sein. Fanbündnisse werten das als Erfolg der eigenen Bemühungen und der Verbände.
In Fankreisen herrschte im Vorfeld große Angst vor dem Zusammenkommen in der Hansestadt, denn ein Zwang zu personalisierten Tickets, mögliche KI-gestützte Überwachungen mit Gesichtserkennung in Stadien und eine Verschärfung der Stadionverbote standen im Raum. Diese im Raum stehenden Maßnahmen führten zu Protesten: Am 16. November waren zahlreiche Fanszenen in Leipzig auf die Straßen gegangen, um unter dem Motto „Der Fußball ist sicher! Schluss mit Populismus – Ja zur Fankultur!“ friedlich gegen die befürchteten Repressalien zu demonstrieren. Darüber hinaus kam es seit mehreren Spieltagen in und um die Stadien der Nation zu Stimmungsboykotten und anderen Protestaktionen. Nach Ansicht vieler organisierter Fanszenen gefährden die möglichen Maßnahmen die freie Fankultur, stellten Fußballfans unter Generalverdacht und seien populistisch. Eine große Zahl von Vereinen der ersten und zweiten Bundesliga taten öffentlich Kund, dass die diskutierten Verschärfungen nicht akzeptabel seien.
DFB: „Kollektiv wirkende Maßnahmen sind nicht zielführend“
Die Verbände DFB und Deutsche Fußball Liga (DFL) lehnten die im Vorhinein diskutierten Maßnahmen ab und stellten sich damit auf die Seite der Fankultur und Vereine: „Kollektiv wirkende behördliche Maßnahmen, wie sie teilweise von Seiten der Innenpolitik gefordert werden, sind weder mit Blick auf eine Verbesserung der Stadionsicherheit zielführend noch für die vielen Millionen von Fußballfans vermittelbar, die von diesen Maßnahmen betroffen wären. Gemeinsames Ziel von DFB und DFL war und ist es in allen Gesprächen, im Sinne des Fußballs geeignete und zielführende Maßnahmen zu vereinbaren, die die Sicherheit rund um Fußballspiele optimieren und zugleich Einsatzstunden der Polizei reduzieren können“, hieß es in einer Stellungnahme. Um diesen Standpunkt in die Politik einzubringen, nahmen Vertreter der Verbände an einer Bund-Länder-offenen-Arbeitsgruppe (BLoAG) „Fußball ohne Gewalt“ teil, die von der IMK eingesetzt wurde.
Auch Eintracht-Vorstand Philipp Reschke, unter anderem für Fanbelange zuständig, äußerte sich zur Thematik: „DFB und DFL haben sich mit konstruktiven Konzepten zur Stärkung der Sicherheit erfolgreich in die Diskussionen eingebracht und sich auf der anderen Seite im Sinne des Fußballs begrüßenswert klar und entschlossen gegenüber solchen Forderungen positioniert, die den Kern von Fankultur betreffen und daher in keiner Weise hilfreich sind.“
Dass es überhaupt Maßnahmen geben muss, um die Fußballstadien sicherer zu machen, ist bereits einer der großen Diskussionspunkte. Denn viele Kritiker sagen, dass es faktisch rund um Fußballspiele in den oberen drei Ligen sicher genug sei. Laut eines Jahresberichts der „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ (ZIS) der Polizei für die Saison 2024/25 ist die Zahl der Stadionbesucher um rund eine Million auf 25 Millionen Fans gestiegen. Dabei wurden 1.107 Menschen verletzt, was etwa 0,004 Prozent entspricht. Insgesamt 6.179 Verfahren wurden eingeleitet. Damit gingen die Zahlen im Vergleich zur Vorsaison deutlich zurück. Für die Politik ist das dennoch kein zufriedenstellender Punkt, denn jeder Verletzte sei einer zu viel. Zudem würden oft genug Unbeteiligte verletzt und die Gewalt verlagere sich zunehmend weg von den Stadien an dritte Orte. Beispielsweise auf Wälder, Innenstädte oder Bahnhöfe. Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sagte den „Osthessen News“ dazu: „Gewalt ist nicht zwingend in den Stadien oder deren Umfeld, sondern kann auch auf den Reisewegen stattfinden. Rechtsfreie Räume darf es nicht geben.“ Dabei bleibt allerdings offen, ob die im Zuge der IMK diskutierten Maßnahmen einen Einfluss auf Gewalt an dritten Orten hätten.
Fünf diskutierte Maßnahmen vorzeitig vom Tisch
Viele Befürchtungen der Fanverbände und -szenen scheinen aber nicht begründet zu sein. Der Innensenator von Bremen, Ulrich Mäurer (SPD), erklärte gegenüber der „Sportschau“, dass man mittlerweile auf mehr Transparenz setze und nicht alle Maßnahmen sinnvoll seien: „Nicht jede Idee, die auf dem Tisch liegt, ist auch sinnvoll und verhältnismäßig. Sicherheit im Stadion ist wichtig. Aber wir dürfen nicht alle Fans unter Generalverdacht stellen, nur weil einige Wenige Ärger machen. Dialog und Transparenz – darauf setzen wir jetzt. Der Dialog mit den Fans ist mir wichtig. Ihre Sorgen nehme ich ernst.“ Die fehlende Transparenz, die viele Fans im Vorfeld kritisiert hatten, soll sich also verbessern. Die Interessen der Fußballfans sollen gehört und berücksichtigt werden. Ohnehin erklärte Ministeriumssprecher Oliver Grimm, dass es vorrangig um Hochrisikospiele mit großem Polizeiaufgebot gehe. Der normale Fan solle nicht gegängelt werden.
Darüber hinaus seien einige der befürchteten Maßnahmen gar nicht Teil der Tagesordnung: Personalisierte Tickets und flächendeckende Ausweiskontrollen seien schlicht im Kontext von Stehplätzen nicht umsetzbar. Auch habe man sich geeinigt, die Idee von Gesichtserkennung in Stadien nicht weiter zu verfolgen. Neuerungen könnte es dagegen beim Thema Stadionverbote geben. „Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht künftig nicht mehr aus. Der konkrete Tatvorwurf muss substanziell dargelegt werden und das Verfahren zügig geführt werden. Es darf keinen Automatismus geben. Es geht nicht darum, mehr Stadionverbote auszusprechen, sondern um mehr Rechtssicherheit auf beiden Seiten“, teilte Mäurer mit. Anhängerkreise hatten immer wieder kritisiert, Stadionverbote würden häufig ohne ausreichende Beweise ausgesprochen. Aktuell sprechen die Vereine selbst Stadionverbote aus. Von Seiten der Politik und Polizei gab es hier Kritik an einer inkonsequenten Umsetzung. Um nachzubessern, könnte es bundesweit einheitliche Regeln geben. Die Stadionverbotskommissionen würde dann zwar bei den Vereinen bleiben, aber eine zentrale Kommission beim DFB soll unterstützen und überwachen. Das ist bereits mit DFB und DFL besprochen. Für dieses Modell machte sich beispielsweise Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) stark.
In diesem für Fanszenen wichtigen Aspekt scheint der DFB Erfolg gehabt zu haben. In einem am Dienstag abgeschickten und von DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Ligapräsidiumssprecher Hans-Joachim Watzke und DFL-Geschäftsführer Dr. Marc Lenz unterzeichneter Brief, der dem „kicker“ vorliegt, heißt es: „Ein Stadionverbot als präventives Mittel muss sich nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. April 2018 (1 BvR 3080/09) auf konkrete und nachweisliche Tatsachen von hinreichendem Gewicht stützen. Ein ‚Gießkannenprinzip‘ bei der Meldung von eingeleiteten Ermittlungsverfahren zur Aussprache von Stadionverboten darf es nicht geben.“
Fanbündnisse begrüßen den Beschluss der IMK
Definitiv wird vom 3. bis 5. Dezember Pyrotechnik kein Thema der IMK sein. Bremens Mäuer machte klar: „Pyrotechnik gehört nicht ins Stadion. Das bleibt meine klare Haltung. Aber dieses Thema wird in der entsprechenden Arbeitsgruppe weiter bewegt und gegebenenfalls auf der nächsten Innenministerkonferenz im Juni behandelt.“ Das Thema dürfte also nur vorerst vom Tisch sein und bald wieder neu aufflammen. Klar scheint hier: Die Fronten sind weiter verhärtet. Während Behörden, Verbände und Politik den Einsatz von Pyrotechnik in Stadien als potenzielles Gefahrenpotential einstufen, empfinden Ultras und Fanverbände das Abbrennen als Ausdruck einer lebendigen Fankultur und betonen, es gehe von einem kontrollierten Abbrennen im Normalfall keine Gefahr aus.
Dennoch werten die Fanbündnisse die Abkehr von den einst diskutierten Verschärfungen indes als Erfolg der eigenen Arbeit und der Proteste durch die Fanszenen: „Sollte die IMK entscheiden, sich auf die Fans zu zubewegen und Transparenz herzustellen, begrüßen wir das ausdrücklich“, teilte der Dachverband der Fanhilfen der „Sportschau“ mit. Ähnlich äußerte sich „Unsere Kurve“ gegenüber dem öffentlichen Sender: „Die breite Kritik an der Hinterzimmerpolitik und populistischen Schnellschüssen hat offenkundig Wirkung gezeigt. Wenn die Innenminister*innen jetzt einen Rückzug antreten, ist das ein Erfolg für die Fans und die Zivilgesellschaft. Wir erwarten, dass die geplanten Maßnahmen nun auch offiziell vom Tisch sind.“
SGE-Fans beteiligten sich am Stimmungsboykott
Auch die Fans der Frankfurter Eintracht dürften die Zugeständnisse von Seiten der IMK weitgehend begrüßen, beteiligten sie sich doch an den Stimmungsboykotts gegen Köln und Wolfsburg. Dass Themen wie beispielsweise Stadionverbote, Kollektivstrafen und übermäßiger Polizeieinsatz auch am Main großes Thema sind, belegt unter anderem das in jedem Heimspiel zu sehende Banner „Ehre der Gruppe Stadionverbot“. Dass sich die Fanszene in der Nordwestkurve überhaupt an den einheitlichen Protesten beteiligten, dürfte Einige überrascht haben. In der Vergangenheit machten die Fans der SGE häufig nicht mit bei Kollektivaktionen, beispielsweise anlässlich des DFL-Investoreneinstiegs. Auch zogen sie jüngst den Unmut vieler Fans auf sich, weil sie gegen Köln durch geworfene Pyrotechnik und einen Brand im Gästeblock vermeintlich ein schlechtes Licht auf Deutschlands Fanszenen warfen.
Für die Verbände und Vereine könnten die Erhöhung von Sicherheits- und Fanbeauftragten, der Ausbau präventiver Maßnahmen, Sicherheits- und Präventionsauflagen und die Einrichtung einer zentralen DFB-Aufsicht zur einheitlichen Durchführung der Stadionverbotsverfahren sinnvolle Maßnahmen sein, um den Forderungen von Politik und Behörden nach mehr Sicherheit und weniger Gewalt nachzukommen. Dies wird nötig sein, denn auch wenn die schlimmsten Befürchtungen nun vom Tisch zu sein scheinen, haben die Innenminister weiterhin Druckmittel gegen Verbände und Verein in der Hand: Rechnungen für zusätzliche Polizeikosten bei Hochsicherheitsspielen können an die betreffenden Vereine weitergegeben werden und man fürchtet den Eingriff der Politik bei Kartenkontingenten und Geisterspielen.




4 Kommentare
Was ist denn für die sogenannten "Fans" so problematisch, sich einfach an die Vorschriften zu halten, nichts Verbotenes zu machen und andere nicht zu gefährden?
Dann wäre der ganze Aufriss nicht notwendig. Aber wahrscheinlich sind diese Deppen einfach zu blöd.
So ist es. Von mir aus können bspw. auch die Tickets personalisiert werden. Ich habe schließlich nichts zu verbergen.
Wir laufen alle mit Smartphone, Google, Facebook, Instagram, TikTok gläsernd durch die Welt und haben dann "Angst" vor Gesichtserkennung und personalisierten Tickets? Irgendwie geht die ganze Diskussion völlig an mir vorbei. Ich gehe friedlich ohne Gewalt und Pyrotechnik ins Stadion, mir ist da noch nie etwas passiert und wenn es mir zu unruhig wird, gehe ich den Deppen aus dem Weg. Wer nichts zu verbergen hat, für die wären die Ideen der IMK auch kein Problem. Auswärtsfahrten mach ich zB schon ewig nicht mehr, weil mir unsere eigenen Fans oft zu unheimlich waren und die Polizei muss da nicht aus Spaß an den Wochenenden ihren Einsatz machen... die Vereine verpassen da eine Chance durch klare Regeln mit der Politik zusammen mehr Ruhe in die Vereine zu bringen. Aber wenn ich im Unterrang sehe, dass die Leute unten durch offene Tore die Blöcke beliebig wechseln können und sowieso machen was sie wollen, braucht man sich als Verein nicht wundern...
Danke für den Artikel, Simeon. Jetzt fühl ich mich bei dem Thema besser informiert und darum geht's ja.
Von daher: gut und seriös zusammengefasst, beide Seiten beleuchtet..ohne das Thema selbst zu bewerten: top!
Es gibt Artikel, die sind einfach gut und der gehört m.E. dazu.
Merci
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